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36 VI. Die Staatenverhindungen.
dem Bundesstaate, andere den Gliedstaaten zustehen. An der Bildung des Bundes-
willens haben die Gliedstaaten Anteil, indem sie in dem obersten Bundesorgane
entweder mit gleicher oder ungleicher Stunmenzahl vertreten sind. Das politische
Schwergewicht liegt beim Bundesstaate; denn ihm steht es zu, die Grenzen seiner
Kompetenz den Ghedstaaten gegenüber zu bestimmen, soweit sie sich nicht gewisse
Eeservatrechte vorbehalten haben. In dem Bundesstaate haben die nach Einigung
strebenden Staaten die richtige Form gefunden, um die Bedingungen großzügiger
Wirtschaftsentfaltung und äußerer Machtstellung zu vereinigen mit der Mannig-
faltigkeit und besonderen Entwickelung ilu^er Kultur und ihres staathchen Sonder-
lebens^).
Die Verbindung zweier oder mehrerer monarchischer Staaten zur Union
beruht darauf, daß dieselbendengleichen Herrscher haben. Jenachdem die Gemein-
samkeit des Herrschersnachdem Innern Rechte der beteiligten Staaten beabsichtigt
oder nur die zufällige Rückwirkung ihrer Tluonfolgeordnung ist, unterscheidet
man zwischen Realunion und Personalunion. Die Personalunion ist zwar
nicht für das innere Staatsrecht, wohl aber politisch von großer Bedeutung^).
Dmch die Einheithclikeit der Leitung und der von dem gemeinsamen Herrscher
verfolgten Interessen wird, wo die Voraussetzungen hiefür gegeben sind, der
engere Zusammenscliluß, wenn nicht schließlich die Verschmelzung der unierten
Staaten herbeigeführt. So sind die deutschen und böhmischen Erblande Österreichs
zu einem gemeinsamen Staatswesen verbunden, ist die Personalunion zwischen
Österreich und Ungarn zur Realunion gesteigert worden. Die patrknoniale Staats-
auffassung und der Absolutismus erleichterten derartige Erfolge dynastischer
Politik; der Konstitutionalismus erschwert sie dm'ch die eifersüchtige Sorge um
die Selbstbestimmung der Staaten.
In der Realunion beruht die rechtliche Gemeinsamkeit des Monarchen
auf einer Vereinbarung der so verbundenen Staaten. Sie läßt ilu^e Unabhängigkeit
und Souveränetät unberülu-t,wkt aber auf ihi* inneres Staatsrecht zm*ück. Denn
diedauernde Gemeinsamkeitdes Herrschers setzt voraus, daßmindestens die Thron-
folgeordnung beiderseits gleich sei. Da die unierten Staaten diu-ch dengemeinsamen
Monarchenrepräsentiertwerden, treten sieinallen Machtfi-agen der äußerenPolitik
als eine Einheit auf. Der Zusammenhang zwischen äußerer und innerer Politik
bewü'kt, daß weiterhin auch gewisse innere Verhältnisse, welche für die Macht-
stellungund die auswärtigen Interessen ^vichtig sind, aufGrundvonVereinbarungen
beiderseits einheithch geregelt werden. In den gegenseitigen Beziehungen der
unierten Staaten lebt von Zeit zu Zeit der allen Staatenverbindungen eigene
Widerstreit zwischen den Anforderungen der Gemeinschaft und den — oft nur
vermeintlichen—Sonderinteressen derGliedstaaten wieder auf. Diese werden in der
Regel durch die Volksvertretungen, jene durch den gemeinsamen Monarchen
wahrgenommen. Es ist die große Schicksalsfrage nicht nur der Union, sondern auch
der Ghedstaaten, welche der beiden Richtungen schließhch die Oberhand behält^).
^) Beispiele: Das Deutsche Reich, die Schweiz und die Vereinigten Staaten von Amerika nach
ihrer gegenwärtigen Verfassung.— *) Beispiele: Die Niederlande und Luxemburg 1815—1890,
Belgien und der Kongostaat 1885—1908, nach der norwegischen, allerdings nicht unbestrittenen
Auffassung auch Schweden und Norwegen 1815—1905. — ') Aus der Besprechung der recht-
lichen Eigenart der Österreichisch-ungarischen Monarchie im XI. Kapitel wird das Wesen der
Realunion noch deutlicher zu entnehmen sein.
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Österreichische Bürgerkunde
- Title
- Österreichische Bürgerkunde
- Author
- Heinrich Rauchberg
- Publisher
- Verlag von F. Tempsky
- Location
- Wien
- Date
- 1911
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.4 x 24.0 cm
- Pages
- 278
- Categories
- Geschichte Vor 1918