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70 XIII. Der ungarische Staat
XIII. Der ungarisehe Staat.
Durch die Gesetzartikel von 1848 hat Ungarn seine ständische Verfassung in
einemoderne Repräsentativverfassung umgewandelt und auchSiebenbürgen
und Kroatien, die ihre eigenen ständischen Vertretungen besaßen, in die an-
gestrebte Gesamtvertretung, in den „Reichstag", einzubeziehen versucht. Infolge
der Ereignisse des Jahres 1849 wurden diese Länder von Ungarn abgetrennt; erst
das Oktoberdiplom leitete ihren endgültigen Anschluß ein. Nachdem schon 1860 die
serbische Wojwodina und das Temeser Banat Ungarn einverleibt worden waren,
nahm im Jahre 1865 der siebenbürgischeLandtagdasbis dahin stand-
haft abgelehnte Fusionsgesetz von 1848 an; der ungarische Landtag wurde von
Siebenbürgen fortab beschicktundmit der staatsrechthchen Sonderstellung Sieben-
bürgens war es aus. Formell ist dann Siebenbürgen durch den ungarischen Gesetz-
artikel III vom Jahre 1868 dem ungarischen Staate einverleibt worden.
Umständhchervollzog sichderAnschlußKroatiensundSlawoniens.
Aus nationalen Gründen widerstrebten Kroatien und Slawonien beharrüch der
Vereinigung mit Ungarn; vielmehr wünschten sie durch die Fusion mit dem zu
Österreich gehörigen Dahnatien das „dreieinige Königreich" I^roatien-Slawonien-
Dahnatien wieder herzustellen. Diesem Wunsche trat zunächst das Februarpatent
entgegen, indem esDahnatien—allerdings nur provisorisch— in die österreichische
ReichshäLfte einbezog. Im gleichen Sinne sprach sich aber auch der dahnatinische
Landtag in seinerAdressevom 19. April 1861 ausund so bliebdenn seitherDahnatien
bei Österreich, obwohl Ungarn es in seinem „Ausgleich" mit Kroatien übernommen
hatte, die Ansprüche auf Dahnatien Österreich gegenüber zu vertreten. Nach mehr-
fachen vergebhchen Versuchen wurde ün Jahre 1868 auf Grund von Verhandlungen
zwischen („Regnikolar-") Deputationen des kroatischen Landtages und des
ungarischen Reichstages eine Verständigung (Ausgleich) über das staatsrechtliche
VerhältniszwischenUngarnund Kroatien erzieltunddurchgleichlautendeungarische
und kroatische Gesetzartikel festgelegt.
Darnach bildenUngarn und Kroatien^)sowohlÖsterreich alsauchdemAuslande
gegenüber eine und dieselbe Staatsgemeinschaft ; die Krönungmit der ungarischen
Königskrone gilt zugleich für Kroatien. Aus der staathchen Gemeinschaft ergeben
sich zwei Gruppen von Ungarn und Kroatien gemeinsamen Angelegenheiten.
Zunächst diejenigen, die auch durch den Ausgleich zwischen Österreich und Ungarn
als gemeinsam erklärt worden waren. Diesen Ausgleich und die darauf beruhenden
Vereinbarungen erkannte Kroatien als verbindhch an. Die Gemeinsamkeit einer
Reihe von weiteren Angelegenheiten kommt dadurch zum Ausdrucke, daß die
Gesetzgebung hierüberdemgemeinsamenungarischenReichstagezusteht ; siewerden
zum größeren Teile auchgemeinsam verwaltet, die Verwaltung gewisser Angelegen-
heiten hat sich jedoch Kroatien vorbehalten. Hinsichthch aller jener Gegenstände,
die nach dem Ausgleiche nicht dem gemeinsamen Reichstage und der Zentral-
regierung zukommen, steht Kroatien sowohl im Bereiche der Gesetzgebung als auch
der Verwaltung die volle Autonomie zu. Als liieher gehörig werden insbesondere die
Verwaltungs-, Religions- und Unterrichtsangelegenheiten und die Rechtspflege mit
Ausschluß der Seegerichtsbarkeit genannt. Im Gebietevon Kroatien und Slawonien
ist die Ivroatische Sprache die Sprache der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechts-
^) In den offiziellen Gesetzestexten wird außer Slawonien auchDahnatien mitgenannt.
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Österreichische Bürgerkunde
- Title
- Österreichische Bürgerkunde
- Author
- Heinrich Rauchberg
- Publisher
- Verlag von F. Tempsky
- Location
- Wien
- Date
- 1911
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.4 x 24.0 cm
- Pages
- 278
- Categories
- Geschichte Vor 1918