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76 XV. Die Verfassung.
den Ständen hervorgegangen sind, sondern lediglich dem Willen des Monarchen
entspringen, werden sie als „oktroyier t" bezeichnet. Bis 1830 hat die eben
erwähnte Charte constitutionelle, späterhin die belgische Verfassung von 1831
anderen Staaten als Vorbild gedient, dievomAbsolutismus odervonderständischen
OrdnungzumKonstitutionalismusübergegangen sind ; so auch für die österreichische
und für die ungarische Verfassung.
Die Entstehung der österreichischen Verfassung ist im X. Ka-
pitel dargestellt worden^). Wederdie österreichischenoch die ungarischeVerfassung
besteht aus einer einzigen Urkunde ; beide setzen sich aus einer ganzen Reihe von
Gesetzenzusammen. DasFebruarpatent verkündetdenInbegriffderdarinbezogenen
„Grundgesetze" als die Verfassung des Reiches. Sie ist durch die Gesetzgebung des
Jahres 1867 dem geänderten Verhältnisse zu Ungarn angepaßt, ausgebaut,und im
SinnederLehrevonderTeilungderGewalten^)geghedert worden^). Dieungarische
Verfassung setzt sich nebenälteren Gesetzartikelnhauptsächlich aus 2Gruppen
von Gesetzen zusammen, die eine aus dem Jahre 1848, die andere aus dem Jahre
1867. Die erstere steht auf dem Boden einer weitergehenden Loslösung Ungarns
von Österreich, als wie sie schließlich durch den Ausgleich von 1867 vereinbart
und durch die Gesetzgebung von 1867 im ungarischen Staatsrechte durch-
geführt worden ist^). In formeller Hinsicht besteht zwischen der österreichischen
und der ungarischen Verfassung ein wichtiger Unterschied. Die österreichische
Verfassung ist nämlich durchaus schriftlich in Gesetzen niedergelegt. Anders
die ungarische Verfassung; neben den schriftlich aufgezeichneten Gesetzen sind
in Ungarn auch die Überlieferungen aus der ständischen Zeit wirksam. Die
ungarische Verfassung beruht, ähnlich wie die englische, nicht nur auf Akten der
Gesetzgebung, sondern auch auf der normativen Kraft der Präzedenzfälle, auf der
Tradition und ihrer Fortbildung durch die Praxis. Damit kommt allerdings ein
Element der Unsicherheit in das Staatsleben, das einflußreiche Parteien zu ihren
Gunsten auszunützen vermögen.
In diesem Abschnitte ist die österreichische Verfassung unter den nach-
stehenden Gesichtspunkten darzustellen:
An der Spitze der Staatsorganisation steht der Monarch. Indem XVI. Kapitel
wird daher zunächst die Rechtsstellung des Monarchen und der Dynastie erörtert
werden. Im konstitutionellen Staate tritt dem Monarchen ein zweites Organ zur
Seite, dessen Stellung unmittelbar auf der Verfassung beruht, das Parlament. Um
das Verständnis für das Wesen und die Aufgaben des Parlamentes vorzubereiten,
werdenim XVII. Kapitel vorerst die allgemeinen Grundsätze des Parlamentarismus
besprochen. Daran schließt sich die Darstellung des österreichischen Parlaments-
rechtes : das XVIII. Kapitel ist dem Reichsrat, das XIX. Kapitel den Landtagen
gewidmet. Im XX. Kapitel werden die Behördenorganisation und der öffentliche
Dienst erörtert.
*) Vergl. S. 50 ff.— '') Vergl. S. 30.— ^) Neben der bereits erwähnten Studienausgabe der
Österreichisclien Verfassungsgesetze sind zu nennen: ,,Die Staatsgrundgesetze', XIX. Band der
Manz'schen Gesetzausgabe, 8. Aufl. 1909, dann „Die Staatsgrundgesetze und die in diesen ange-
führten und mit ilinen in Zusammenhang stehenden Gesetze", herausgegeben von K. Hartl,
Wien1910.— *) Vergl. ,,DieungarischenVerfassungsgesetze", herausgegebenvon G. S t e inba eh.
4. Aufl., Wien 1906.
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Österreichische Bürgerkunde
- Title
- Österreichische Bürgerkunde
- Author
- Heinrich Rauchberg
- Publisher
- Verlag von F. Tempsky
- Location
- Wien
- Date
- 1911
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.4 x 24.0 cm
- Pages
- 278
- Categories
- Geschichte Vor 1918