Page - 78 - in Österreichische Bürgerkunde
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78 XVI. Der Monareh und die Dynastie.
„Kaiser von Österreich" und die Bezeichnung der Behörden mit „k. k." beziehen
sich nunmehr nur auf das im Eeichsrate vertretene Ländergebiet. Die staathche
Selbständigkeit der beiden Keichshälften kommt fernerhin in dem getrennten
Hofstaate, sowie darin zum Ausdrucke, daß jede derselben eine getrennte
Hofstaatsdotation (derzeit im Betrage von jährhch 11,300.000 Kronen)
zur Bestreitung des Aufwandes leistet, der aus der Stellung des Monarchen erwächst.
Die österreichischeVerfassungträgtdererhabenen Stellung des Kaisersdadurch
Eechnung, daß sie ihn für g e h e i 1 ig t, unverletzlich und u n v e r an t-
w r 1 1 i c h erldärt (ähnlich die ungarischeVerfassung). In dem Worte
,, geheiligt"
klingt die Vorstellung von dem göttlichen Ursprünge legitimer Kegentenstellung
nach, deren Weihe früher durch Krönung und Salbung symbolisch dargestellt
wurde^). Die Unverletzlichkeit wird durch den besonderen strafrechtlichen Schutz
des Kaisers, der Mitglieder des kaiserlichen Hauses und der monarchischen Staats-
form gesichert. Die UnverantwortUchkeit ergibt sich von selbst aus der Stellung
des Monarchen als oberstes Staatsorgan, die es ausschließt, daß er von irgendwem
zur Verantwortung oder einem Urteil unterzogen werde. In politischer Hinsicht
trägt die Unverantwortlichkeit des Monarchen mit bei zur Autorität der Krone,
indem sie dieselbe dem Parteigetriebe und der Parteikritik entrückt. Das Gegen-
gewicht gegen die Unverantwortlichkeit des Kaisers bildet die Bestimmung der
Verfassung, daß der Kaiser die Regierungsgewalt durch verantwortliche Minister
und die denselben untergeordneten Beamten und Bestellten ausübt. Jeder Re-
gierungsakt des Kaisers bedarf zu seiner Gültigkeit der Gegenzeichnung eines
verantworthchen Ministers^).
Die Vertretung des Staates durch den Monarchen läßt sich nach
den drei Hauptrichtungen der Staatstätigkeit^) : Gesetzgebung, Rechtsprechung
und Verwaltung hin verfolgen. In der Gesetzgebung besteht sie darin, daß
der mit Zustünmung der verfassungsmäßigen Vertretungskörper festgestellte Ge-
setzesinhalt mit dem Gesetzesbefehl ausgestattet wird, worauf die verbindhche
Kraft des Gesetzes als Staatswille beruht (Sanktion)'*). DieGerichtsbarkeit
wird im Namen des Kaisers durch selbständige und unabhängige Richter aus-
geübt^); sogenannte „KabinettsJustiz" ist demnach ausgeschlossen. Das dem
Kaiser zustehende Recht derBegnadigung fällt unter den Begriff der Ver-
waltung. Es bezweckt, gerichtliche Verfolgungen zu verhindern (Abolition), ver-
hängte StrafenunddieRechtsfolgenvonVerurteilungen nachzusehen, woVerfolgung
und Strafvollzug infolge der besonderen, vom Gesetze nicht vorausgesehenen
Sachlage dem Rechtsgefühle widersprächen oder sonstige triftige Anlässe gegeben
sind, um Gnade anstatt des strengen Rechtes walten zu lassen (Amnestie, wenn
dies gleichzeitig in vielen Fällen geschieht).
Die Oberleitung der Verwaltung durch den Kaiser bewegt sieb
hauptsächhch aufdem Gebiete jener über den Vollzug der Gesetze hinausgehenden
^) Als legitim werden jene alten Regentenhäuser bezeichnet, die nicht durch Revolution
oder Parlamentsbeschlüsse auf den Thron gelangt sind, sondern die „angestammte" Herrschaft
vermöge der heiligenden Macht der Jahre gleichsam ,,von Gottes Gnaden" ausüben. —
") Je nachdem die Regierungsakte Angelegenheiten des österreichischen oder des ungarischen
Staates oder beiden Staaten geraeinsame Angelegenheiten betreffen, wird die Gegenzeichnung des
österreichischen, ungarischen oder gemeinsamen Ministers erfordert. — ') Vergl. S. 30.—
*) Vergl. S. 139.— ') Vergl. S. 144.
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book Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Title
- Österreichische Bürgerkunde
- Author
- Heinrich Rauchberg
- Publisher
- Verlag von F. Tempsky
- Location
- Wien
- Date
- 1911
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.4 x 24.0 cm
- Pages
- 278
- Categories
- Geschichte Vor 1918