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XXXI. Politische Freiheitsrechte. 137
der nationalen Parteien hat dazu geführt, daß der amtliche Sprachengebrauch
für einzelne Verwaltungsgebiete im Verordnungswege geregelt wurde. So 1869
für Galizien zugunsten derpolnischen Sprache; 1880 wurden inBöhmen undMähren
beide Landessprachen gleichmäßig als Geschäftssprachen für den Parteienverkehr
mit den Zivilstaatsbehörden zugelassen. Auf ähnlicher Grundlage ist 1909 der
amtliche Sprachengebrauch in Dalmatien geordnet worden.
Die nationaleSchulfrage ist sowohl dem Staate gegenüber als auch inner-
halb der Selbstverwaltung aufgeworfen worden. In der ersteren Richtung durch
das Verlangen der einzelnen Volksstämme nach Errichtung und Ausgestaltung
staatlicher Schulen verschiedener Art. In der letzteren Hinsicht in Bezug auf die
nationale Sonderung der Schulaufsicht und der Schullasten und auf die Errichtung
von sogenannten Minoritätsschulen. Die Schulaufsicht ist in Böhmen im Jahre
1890, in Mähren im Jahre 1905 auf nationaler Grundlage organisiert worden.
Die andern hieher gehörigen Fragen sind zumeist noch in Schwebe.
Die dritte Frage, die Frage nach der Geltung und dem Schutze der einzelnen
Volksstämme in der Selbstverwaltung der mehrsprachigen Länder
hängt mit der Reform der Landesverfassungen eng zusammen und ist unter diesem
Gesichtspunkte bereits im XIX. Kapitel gestreift worden^).
Das Problem, die verschiedenen sprachlichen Bedürfnisse der einzelnen Volks-
stämme und Gebietsabschnitte mit der Notwendigkeit einheitlicher sprachlicher
Verständigung für das gesamte Staatsleben in Einklang zu setzen, ist noch nicht
gelöst. Seine Lösung würde wesentlich erleichtert werden, wenn es gelänge, die
poHtischen Nebenansichten der nationalen Parteien auszuschalten und die Frage
lediglich unter dem Gesichtspunkte sachlicher Zweckmäßigkeit und der tat-
sächlichen Bedürfnisse sowohl des Staates als auch der Bevölkerung zu behandeln.
XXXI. Politische Freiheitsrechte.
Die politische Freiheit besteht zunächst in der Selbstbestimmung
des Volkes in der Form der Repräsentativverfassung. Sie gewährt den Staats-
bürgern Anteil an der Willensbildung des Staates, sichert ihren Freiheitsbereich
und legt in der Form der Selbstverwaltung und des Ehi'enamtes die Wahrnehmung
wichtigeröffentlicherAngelegenheiteninihreeigeneHand. Das alles setztvoraus,daß
den gesellschaftlichen Bestrebungen freie Bahn gegeben sei, welche die Bildung
einer öffentlichen Meinung, die Beeinflussung der Gesetzgebungund derVerwaltung
und die Wahrnehmung von KoUektivinteressen bezwecken. Während die aktive
Beteiligung der Staatsbüi^geran GesetzgebungundVerwaltungdurch die Berufungs-
ordnung der Vertretungskörper geregelt wird^), fällt der Schutz der freien politischen
Betätigung in den eben angedeuteten Richtungen in den Kreis der Freiheitsrechte,
die durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger
gewährleistet sind. Nachdem die Freiheit der Meinungsäußerung schon weiter
oben unter dem Gesichtspunkte der geistigen Freiheit erörtert worden ist, erübrigt
hier noch, das Petitionsrecht sowie die Vereins- und Versammlungsfreiheit zu
besprechen.
^) Vergl. A. F i s c h e 1, Das österreichische Sprachenrecht. 2. Aufl. Brunn 1910, und
Materialien zur Sprachenfrage in Österreich. Brunn 1902. — R. Springer, Der Kampf
der österreichischenNationenumden Staat. 2. Aufl. Wien 1910.— *) Vergl.oben S. 97 ff. u. S. 104.
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Österreichische Bürgerkunde
- Title
- Österreichische Bürgerkunde
- Author
- Heinrich Rauchberg
- Publisher
- Verlag von F. Tempsky
- Location
- Wien
- Date
- 1911
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.4 x 24.0 cm
- Pages
- 278
- Categories
- Geschichte Vor 1918