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XXXVIII. Die auswärtigen Angelegenheiten. 163
Landkrieges und im Anschlüsse daran die Londoner Seerechtserklärung von 1909,
womit die Regeln des Seekriegsrechtes festgelegt worden sind.
Ihrem Inhalte nach können die Wechselbeziehungen der Staaten und damit
auch die Normen des Völkerrechtes in drei große Gruppen zerlegt werden. Die
erste umfaßt alle Abmachungen, die den politischen Machtbereich der Staaten
betreffen, die zweite bezweckt die Förderung internationaler Kultur- und AVohl-
fahrtsinteressen, die dritte regelt die Art des Verkehres der Staaten untereinander
im Frieden und im Kriege. Die eben angeführten Abmachungen gehören durchaus
der letzterwähnten Gruppe an. Hier sind nur die beiden ersteren Gruppen kurz
zu kennzeichnen.
In politischer Hinsicht beruht die Staatengesellschaft auf dem
Gedanken des Gleichgewichtes zwischen den Großmächten. Seit dem
Beginne des 16. Jahrhunderts ist die Herstellung und Erhaltung des europäischen
Gleichgewichtes bestimmend für die politische Gruppierung der Kulturstaaten.
Früher war die Machtpolitik hauptsächlich auf den Erwerb von Land und Leuten
gerichtet. In dem Maße als der Erdball der europäischen Kultur erschlossen wurde
und die Volkswirtschaften sich ent\\ickelten, wurde die auswärtige Politik zeitlich
und räumlich immer weitsichtiger. Nunmehr ist sie in erster Linie darauf gerichtet,
die Bedingungen der wirtschaftlichen Entfaltung des Staatsvolkes und damit
auch der Staatsmacht auf Generationen hinaus zu sichern; demgemäß muß sie
auch ihren räumlichen Interessenbereich erweitern. Die halb- und unzivilisierten
Länder w^erden wirtschaftlich erschlossen und in die Politik der Kulturstaaten
einbezogen. Zugleich mit den wirtschaftlichen Interessen erstrecken sich auch
die Machtbestrebungen der Großmächte, voraus der Seemächte über die ganze
Erde. Der Gedanke des europäischen Gleichgewichtes hat sich erweitert zu einem
System des Gleichgewichtes und der Aufteilung der Interessensphären zvsischen
den Weltmächten. In dieses System sind auch die kleineren Staaten, ja selbst
die halb- und unzivüisierten Länder einbezogen durch den Anschluß an diejenigen
Großmächte, in deren Macht- oder Interessenbereich sie gelegen sind^). Es ist be-
festigt durch die anläßlich von Friedensschlüssen und auf internationalen Kon-
gressen getroffenen Abmachungen und durch sonstige Verträge, die den politischen
Machtbereich der einzelnen Staaten abgrenzen, und wird durch mannigfache
Bündnisse vor Störungen bewahrt.
Trotzdem ergeben sich innerhalb dieses Systems allmähliche Verschiebungen
durch die verschiedeneEntwickelung der \\Trtschaftlichenund militärischenMacht.
Dahermuß das Bestreben aller Staaten, die sich den „Platz an der Sonne" sichern
wollen, darauf gerichtet sein, sich weder in der einen noch in der anderen Hinsicht
von ihren Rivalen überflügeln zu lassen. Auf die Dauer gilt in der äußeren Politik
jeder Staat doch nur soviel als er vermag. Daran wird auch durch das System
der Bündnisse nichts geändert, indem das Gleichgewicht der Großmächte verankert
ist. Denn jeder Bundesgenosse wird nach seiner wirtschaftlichen und militärischen
Leistungsfähigkeit gewartet. Diese hängt aber mit der inneren Ordnung, mit der
strammen Zusammenfassung der Volkskräfte zur Staatsmacht aufs engste zu-
^) Eine Ausnahmsstellung nehmen die neutralisierten Staaten (die Schweiz,
Belgien, Lijxemburg) ein.' Sie dürfen keine andern Kriege als zur Verteidigung führen und daher
auch keine Verträge schließen, durch die sie weiterhin zur Kriegführung verpflichtet werden
könnten.
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Österreichische Bürgerkunde
- Title
- Österreichische Bürgerkunde
- Author
- Heinrich Rauchberg
- Publisher
- Verlag von F. Tempsky
- Location
- Wien
- Date
- 1911
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.4 x 24.0 cm
- Pages
- 278
- Categories
- Geschichte Vor 1918