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170 XXXIX. Die Wehrmacht.
Ersat2a:eserve. Die Sonderstellung der Einjährig-Freiwilligen beruht auf der Er-
wägung, daß bei höherer Bildung ein einjähriger Präsenzdienst zur militärischen
Ausbildung hinreicht.
Aus der Wehrpflicht entspringt zunächst die Pflicht, sich zur Aushebung
zu melden und zu stellen. Bei der Stellung wird in der durch das Los gegebenen
Reihenfolge über die Diensttauglichkeit und weiterhin über die Eimeihung in das
Heer, die Landwehr oder Ersatzreserve entschieden. Die aktive Dienstpflicht
besteht in der Verpflichtung zu fortgesetzter militärischer Dienstleistung. Sie
steigert die allgemeinen Untertanenpflichten zu einer besonderen Treu- und Ge-
horsamspflicht. Daher die feierliche Am-ufung des Gewissens durch den Fahneneid
und die Sicherung durch die strengere militärische Disziplin sowie durch die
Militärgerichtsbarkeit in eigentlichen Strafsachen^). Für Offiziere besteht außer-
dem ein ehi-enrätliches Verfahren wegen solcher Handlungen und Unterlassungen,
die nach allgemeiner Anschauung als unehrenhaft gelten oder mit der Standesehre
unvereinbar sind.
Die zahlenmäßige Stärke des Heeres ist bedingt durch die Zahl der jährlich
ausgehobenen Mannschaften, das sogenannte Rekrutenkontingent.
Allerdings nicht ausschließlich, da ja im Notfalle auch die Ersatzreserve und der
Landsturm zur Ergänzung herangezogen werden können. Allein das sind außer-
ordentliche Maßnahmen; auch haben Mannschaften, die nicht ordentlich aus-
gebildet wurden, einen geringeren militärischen Wert. Die jährliche Bewilligung
des Rekrutenkontingents ist ebenso wie die Steuerbewilligung ein Überbleibsel
aus der ständischen Zeit. Solange die Stände mit dem Fürsten noch rivalisierten,
waren diese Bewilligungen ein Mittel, um den Einfluß der Stände auf den Fürsten
und den Gang seiner Politik zu verstärken. Im modernen Staate ist eine besondere
jährliche Bewilligung dieser Staatsnotwendigkeiten sinnlos. Denn Soldaten und
Steuern dienen ausschließlich staatlichen Zwecken; der Staat vermöchte keinen
Augenblick ohne sie zu bestehen. Auf das Maß der Lasten, die damit dem Volke
auferlegt werden, nimmt aber die Volksvertretung ohnedies verfassungsmäßigen
Einfluß durch ilir Budgetrecht und durch die Steuer- und Wehrgesetzgebung.
Von einer Verweigerung der Steuern oder der auszuhebenden Rekruten kann
daher im Ernste gar nicht die Rede sein. Die Bewilligung enthebt zwar, wie bei
der Darstellung des Budgetrechtes gezeigt werden wird"^), die Regierung der Ver-
kaserniert. Mittellose können ausnahmsweise auf Staatskosten dienen. Am Schlüsse des
Präsenzjahres ist die Befähigung zum Reserveoffizier durch Ablegung einer Prüfung nach-
zuweisen. Das neue Wehrgesetz räumt das Einjährig-Freiwilligenrecht auch solchen Jüng-
lingen ein, die sechs Klassen eines Gymnasiums oder einer Realschule, beziehungsweise die
zwei ersten Jahrgänge einer mittleren Lehranstalt oder emer Lehrerbildungsanstalt mit
Erfolg zurückgelegt, und eine Prüfung vor einer hiezu bestellten Kommission mit Erfolg
abgelegt haben. Auch die Lehrer und absolvierten Lehramtskandidaten werden fortab als
Einjährig-Freiwillige (also nicht mehr m der Ersatzreserve) dienen. Der Einjälirig-Frei-
willigendienst wird nach dem neuen Wehrgesetze in der Regel auf Staatskosten zu leisten
sein, grundsätzlich auf eigene Kosten aber bei der Kavallerie, der reitenden Artillerie und
beim Train. Auf besondere Bitte können aber auch die andern Einjährig-Freiwilligen auf
eigene Kosten dienen und dann den Truppenkörper wählen. Doch ist auch den andern
iimerhalb gewisser Grenzen diese Wahl offen gehalten. — ') Vergl. oben S. 155.— *) Siehe
das XLVin. Kapitel, S. 220 f.
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Österreichische Bürgerkunde
- Title
- Österreichische Bürgerkunde
- Author
- Heinrich Rauchberg
- Publisher
- Verlag von F. Tempsky
- Location
- Wien
- Date
- 1911
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.4 x 24.0 cm
- Pages
- 278
- Categories
- Geschichte Vor 1918