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256 Lesetext
ARZT Ein hübscher Sopran.
KRANKENSCHWESTER Sehr angenehm!
ST. PETRUS Und was seh ich? Schon wird sie engagiert?
FRAU STEINTHALER (überglücklich) Engagiert?! Das überleb ich nicht!
ST. PETRUS Jaja.
FRAU STEINTHALER Jetzt bin ich erst im Himmel –
ST. PETRUS (schaut nun nicht mehr hinab.) Hm. Aber der Vertrag gefällt mir nicht.
FRAU STEINTHALER Kriegt sie zu wenig Gage?
ST. PETRUS Zu viel.
FRAU STEINTHALER Und das gefällt Ihnen nicht? Bei der Naturstimm, die meine
Luise hat, kann sie gar nicht zu viel kriegen! Nein, daß ich das hab erleben dür-
fen– Ich geh mich jetzt bedanken! (Sie springt aus ihrem Wolkenbett.)
ARZT Schonen Sie sich doch noch!
FRAU STEINTHALER Jetzt bin ich gesund! (rasch ab)
ST. PETRUS (sieht ihr nach.) Eine naive Frau ist das! Eine brave Seel.
(Dunkel)
IX.
In der Hölle.
Der TEUFEL durchsieht den Kontrakt, den er durch den INTENDANTEN mit LUISE ge-
schlossen hat.
TEUFEL Geht in Ordnung. Korrekt und klar. Hätt nicht gedacht, daß dieser anormale
Intendant sein Wort so prompt halten wird – (Er liest und kommentiert.) „Ich,
Luise Steinthaler, verkaufe hiermit für alle Ewigkeit“ – „Ewigkeit“, gut so! –
„meine unsterbliche Seele dem Gottseibeiuns“ – das bin ich! – „dafür wird sich
jedoch mein bereits vorhandener lyrischer Sopran“ – nebbich! – „zu einer
schlechthin grandiosen Stimme entfalten, und zwar was Höhe, Tiefe, Reife, Lage,
Fülle, Kultur, Modulation, kurz: in jeder Hinsicht etcetera etcetera– Kennen wird
mich jedes Kind, ich werde schon immer vorher total ausverkauft sein und in al-
len Illustrierten fett gedruckt etcetera etcetera – – Hierfür aber verzichte ich be-
reits im Leben auf alle privaten Gefühle“ (Er stockt und wiederholt.) „private
Gefühle“? – (Er ruft.) He,Vizeteufel!
VIZETEUFEL (erscheint.) Aufzuwarten!
TEUFEL Wer hat denn diesen Kontrakt aufgesetzt?
VIZETEUFEL Aufzuwarten, ich!
TEUFEL Blamage, Skandal! Es darf doch nicht heißen „private“ Gefühle, sondern
„privateste“! Eine Schlamperei ist das in meiner Höll! Mehr Präzision, bitt ich
mir aus! Zitter nicht, das schickt sich nicht!
LAUTERBACH (tritt verwirrt ein, zerfetzt und zerschunden, voll Dreck und Blut.)
TEUFEL (überrascht) Was soll das?
VIZETEUFEL Keine Ahnung!
LAUTERBACH Wo bin ich? Großer Gott, wie sehen denn da die Leut aus?
TEUFEL Welch töricht Zeug! Wie sollen wir denn schon aussehen?!
LAUTERBACH Wo bin ich denn?!
TEUFEL (zumVIZETEUFEL) Sags ihm.
VIZETEUFEL Tief drunten in der Hölle.
LAUTERBACH Tief drunten –? Großer Gott, wann bin ich denn gestorben?!
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45 Himmelwärts Endfassung, emendiert
Wiener Ausgabe sämtlicher Werke
Historisch-kritische Edition, Volume 1
- Title
- Wiener Ausgabe sämtlicher Werke
- Subtitle
- Historisch-kritische Edition
- Volume
- 1
- Author
- Ödön von Horváth
- Editor
- Klaus Kastberger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-058470-7
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 338
- Categories
- Weiteres Belletristik