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258 Lesetext
achtzig Jahre alt und hat einen langen Bart.) Entschuldigen, Herr Bühnenportier,
aber ich wart nämlich auf die neue Primadonna –
PORTIER Sinds mit ihr entfernt verwandt?
AUTOGRAMMJÄGER Nein, ich möcht nur ein Autogramm. Ich bin nämlich ein alter
Autogrammjäger.
PORTIER Tatsächlich?
AUTOGRAMMJÄGER Siebzig Jahr sammel ich schon, siebzig Jahr, und jetzt entbehr ich
nur noch die Unterschrift dieser neuen Primadonna – ein göttlicher Sopran!
PORTIER (renommiert.) Eigentlich hab ich ja diesen Sopran entdeckt.
AUTOGRAMMJÄGER Respekt!
PORTIER Da auf diesem Bankerl ist sie gesessen, dreizehn Wochen lang.
AUTOGRAMMJÄGER Dreizehn Wochen– Es ist ein eigen Ding um den Erfolg: entwe-
der kommt er, oder er kommt nicht. Sehr eigen.
PORTIER Ich bitt Sie, haltens mich jetzt nicht länger auf, ich muß nachdenken!
AUTOGRAMMJÄGER Entschuldigens! (Er zieht sich zurück.)
PORTIER Meine Hochachtung! (beiseite) Ich denk natürlich gar nicht nach, aber
manchmal braucht man so blöde Ausreden, damit man seinen Frieden bekommt!
(Nun kommt die neue Primadonna:LUISE. DieAUTOGRAMMJÄGER umringen sie, und
der INTENDANT erscheint im Bühnentürl, befrackt und mit einem Bouquet Rosen.
NachdemLUISE alleAUTOGRAMMJÄGER befriedigt hat, verduften selbe, und sie wen-
det sich dem Bühnentürl zu.)
PORTIER (salutiert.)
INTENDANT (überreicht ihr das Bouquet.) Guten Abend, Luiserl!
LUISE (tonlos) Guten Abend, Werner.
INTENDANT Warum so bleich?
LUISE Ich zitter direkt– (zumPORTIER) Und wieder diese ewige Unterschreiberei da,
ich kann nicht mehr unterschreiben, das regt mich so auf, ich werd überhaupt gar
nichts mehr unterschreiben!
PORTIER Zu Befehl! Dann gibt es also von heut ab keine Autogramme mehr!
LUISE Verjagen Sies doch! Alle!
PORTIER Wird besorgt, Madame! (ab durch das Bühnentürl)
INTENDANT (fixiertLUISE.) Nervös?
LUISE (sieht sich ängstlich um.) Wenn ich nur wieder schlafen könnt –
INTENDANT Du mußt dich halt an deinen jungen Ruhm erst gewöhnen.
LUISE (sieht ihn groß an.) Meinst du? Es ist eine Gehetztheit in mir, als tät ich mich
teilen, in lauter viele kleine Teile teilen– und dann muß ich an meine Mutter den-
ken, aber ich weiß es nimmer, wie sie ausgesehen hat, und plötzlich ist nichts
mehr da. Ich auch nicht.
INTENDANT Wer den Erfolg will, der braucht den Verzicht.
LUISE Meinst du? (sehr leise) Vielleicht hätt ich es nicht unterschreiben sollen –
INTENDANT (scharf) Den Kontrakt?
LUISE (schweigt.)
INTENDANT (lauernd) Bereust du es?
LUISE Nein. Denn ich will es nicht bereun!
(Dunkel)
Ende des ersten Teiles.
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50 Himmelwärts Endfassung, emendiert
Wiener Ausgabe sämtlicher Werke
Historisch-kritische Edition, Volume 1
- Title
- Wiener Ausgabe sämtlicher Werke
- Subtitle
- Historisch-kritische Edition
- Volume
- 1
- Author
- Ödön von Horváth
- Editor
- Klaus Kastberger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-058470-7
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 338
- Categories
- Weiteres Belletristik