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272 Lesetext
LAUTERBACH Das macht nix. Futsch ist futsch, und man muß über seine diversen Ent-
täuschungen hinweg, wenn ich nur keine Zahnschmerzen hätt!
LUISE Zahnschmerzen?
LAUTERBACH Ja. Und dabei spürt man dann immer wieder alles doppelt schwer, als
hätt man schon einmal gelebt – Wie lang möcht ich jetzt zum Beispiel schon ein
korrekter Oberkellner sein, und derweil bleib ich, mir scheint, bis an mein Ende
nur so ein trauriger Hilfskellner! Schicksal!
LUISE Tut Ihnen der Zahn immer weh?
LAUTERBACH Nur wenn ich daran erinnert werde.
LUISE Pardon! Das wollt ich nicht!
LAUTERBACH Sonderbar. Jetzt tut er mir gar nicht weh, der Zahn, obwohl Sie mich
daran erinnert haben – sehr sonderbar.
LUISE (lächelt wieder.) Das ist mir zu hoch.
LAUTERBACH Apropos zu hoch: Sie, jetzt hab ich eine Idee! Gehens nicht allein, blei-
bens noch da, in einer halben Stunde bin ich frei, und dann kommens mit mir! Auf
einen Tee mit ein bisserl mehr Rum! Na?
LUISE (lächelt abermals.) Gut.
STIMME Zahlen! Zahlen!
LAUTERBACH Sofort! (Er verbeugt sich vor LUISE.) Also wartens bitte, man weiß
nicht, was kommt! (ab)
LUISE Wiedersehen – – (Sie lächelt still vor sich hin.) Ich warte. (Sie zerreißt wie in
Gedanken ihren Brief.)
(Dunkel)
X.
Im Himmel.
ST. PETRUS geleitet den Gerichtsvollzieher STEINTHALER, der soeben aus der Hölle
angekommen ist, über die höchsten Wolken. Sphärenmusik.
ST. PETRUS Die Hauptsach ist, daß es Ihnen gefällt, Herr Steinthaler!
STEINTHALER Und ob! Sagens, wem hab ich das eigentlich zu verdanken, diese meine
Erlösung aus der Höll vor dem Termin?
ST. PETRUS Uneigentlich der Frau Gemahlin, Herr Steinthaler.
STEINTHALER Der? Also das gibts nicht!
ST. PETRUS Es ist aber so, auch wenns das nicht gibt! Ihre Frau erwartet Sie schon.
STEINTHALER Soso.
ST. PETRUS Scheint Sie nicht besonders zu freuen –
STEINTHALER Schauns lieber Herr, ich war mit ihr siebzehn Jahr verheiratet und war
jetzt zirka dreizehn Jahr in der Höll – und der Unterschied?
ST. PETRUS (streng) Der Unterschied?
(Stille)
STEINTHALER No ja, seien wir gerecht! Besser wars schon mit ihr!
ST. PETRUS So ists brav, Herr Steinthaler!
STEINTHALER (plötzlich) Wie gehts denn meiner Tochter der Luise? Ich weiß nämlich
gar nichts von meiner Familie, weil ich mich im Leben nicht um sie gekümmert
hab, und man hat mir drunten nichts erzählt, obwohl ich mich immer erkundigt
hab. Lieber Herr, eine Frage: Kann man hier im Himmel eigentlich mal ein gut-
gepflegtes, frisches Krügel kriegen?
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45 Himmelwärts Endfassung, emendiert
Wiener Ausgabe sämtlicher Werke
Historisch-kritische Edition, Volume 1
- Title
- Wiener Ausgabe sämtlicher Werke
- Subtitle
- Historisch-kritische Edition
- Volume
- 1
- Author
- Ödön von Horváth
- Editor
- Klaus Kastberger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-058470-7
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 338
- Categories
- Weiteres Belletristik