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678 Lesetext
HUELSEN Und ein elender Autor.
SEMPER Das dürfen Sie nicht sagen! Ich erinnere nur an die „Geheiligte Liebe“! War
das eine Kasse, sieben Monat im Kristallpalast und ausverkauft! Dieser Hell ist
auch ein Genie.
HUELSEN Einmal ist ihm etwas eingefallen, und das hat er von Zola abgeschrieben.
SEMPER Es kommt nicht darauf an, was man abschreibt, sondern wie man abschreibt!
In der gesamten internationalen Kunst kommt es auf das „wie“ und niemals auf
das „was“ an– Soviel versteh ich auch von der Belletristik! Ich versteh aber auch,
warum Sie mir immer mies machen wollen vor unseren bewährten Autoren: Ich
soll immer neue, junge heranziehen, wie? Hab doch schon alles versucht! Und
was hab ich geerntet? Was ich gesät hab: Da kommen die Herren Poeten mit
neuen Ideen, die sich von keiner Seite photographieren lassen! Haben Ideale im
Herzen und Wimmerl auf der Stirn, und wenns ein paar Groschen Vorschuß ha-
ben, werdens größenwahnsinnig, klopfen mir auf die Schulter und behaupten,
mehr vom Betrieb zu verstehen wie ich! Lassens mich aus mit Ihren jungen Dich-
tern!
HUELSEN Es gibt natürlich auch solche –
SEMPER (fällt ihm ins Wort.) Es gibt nur solche! Aber, sagens mal Doktor: Warum
schreiben denn Sie uns keinen Film?
HUELSEN Es liegt mir nicht.
SEMPER So spricht ein Mensch, der seit zwei Jahren mein Sekretär ist! Kennt jeden
Film, beherrscht die Technik, ist allgemeingebildet, belesen, schreibt klassisch
und hat viel freie Zeit!
HUELSEN Letzteres ist ein Irrtum. Ich bin nämlich auch noch Mitarbeiter der „Neuen
Tage“.
SEMPER Was ist das?
HUELSEN Eine literarische Zeitschrift.
SEMPER „Literarisch“– und darauf sind Sie stolz, was?
HUELSEN Es ist mein eigentlicher Beruf.
SEMPER Verstehe. Der Film ist Ihnen zu dumm – nicht?
HUELSEN Das hab ich nie behauptet.
SEMPER Aber ich behaupt es. Ich sage Ihnen, der Film ist das dümmste, was es über-
haupt nur gibt!
HUELSEN (lächelt.) Vielleicht.
SEMPER Aber die Leut, die den Film produzieren, die sind nicht dumm, nur die, die
zuschaun und dafür bezahlen – Denen ist es sogar ihre Pflicht, dumm zu sein!
HUELSEN Meiner Meinung nach läßt sich das nicht verallgemeinern. Die Menschen
müssen sich eben unterhalten und wollen nicht immer denken.
SEMPER Weil sie gar nicht denken können! Nur keine Ausrederein, Doktor! Und
wenn Sie noch so hochgeistig in Ihrer literarischen Zeitschrift artikeln, leben tun
Sie hier von der Dummheit!
HUELSEN Ich weiß, Sie haben recht.
(Telephon)
HUELSEN (am Apparat) Ja – (zuSEMPER) Herr Regisseur Mayberg.
SEMPER Schon da? Soll hereinkommen!
HUELSEN (am Apparat) Herr Generaldirektor lassen bitten!
SEMPER Das „General“ schenke ich Ihnen! Aber nur Ihnen!
HUELSEN (lächelt.) Zu gütig.
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45 Das unbekannte Leben (in fünf Akten) Endfassung, emendiert
Wiener Ausgabe sämtlicher Werke
Historisch-kritische Edition, Volume 2
- Title
- Wiener Ausgabe sämtlicher Werke
- Subtitle
- Historisch-kritische Edition
- Volume
- 2
- Author
- Ödön von Horváth
- Editor
- Klaus Kastberger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-058470-7
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 610
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Das unbekannte Leben Mit dem Kopf durch die Wand
- Vorwort 333
- Lesetext 351
- Vorarbeit: Die Unbekannte der Seine 353
- Das unbekannte Leben. Komödie (Endfassung in fünf Akten, emendiert) 675
- Das unbekannte Leben. Komödie (Endfassung in vier Akten, emendiert) 735
- Mit dem Kopf durch die Wand. Komödie (Endfassung in vier Akten, emendiert) 785
- Kommentar 829
- Chronologisches Verzeichnis 831
- Übersichtsgrafik 891
- Hertha Pauli: L’inconnue de la Seine 905
- Anhang 909
- Editionsprinzipien 911
- Siglen und Abkürzungen 920
- Literaturverzeichnis 923
- Inhalt (detailliert) 927