Page - 849 - in Wiener Ausgabe sämtlicher Werke - Historisch-kritische Edition, Volume 2
Image of the Page - 849 -
Text of the Page - 849 -
Konzeption 2
849
sard behandeln zu lassen (vgl. TS16/BS 71, Bl. 94f., TS17/BS 52, Bl. 81f. und
K3/TS21/BS 53 [4], Bl. 3f.). Nach dem Textverlust setzt Bl. 2 mit einem Dialog zwi-
schen dem Sekretär (vgl. K1/E27, E36, E38 und TS1), einer Vorform des Doktor Huelsen
(vgl. K1/E49 und E72), und dem Direktor über ein „Exposé“, das der Sekretär als „un-
filmisch“ bezeichnet. Allerdings ist er mit dem Herrn (bzw. der „Dame“, wie es in der
Korrektur heißt) befreundet, die es verfasst hat (vgl. TS16/BS 71, Bl. 11–13, 51 und
98, TS17/BS52, Bl. 9, 24, 36 und 85 sowie K3/TS21/BS52, Bl. 9, 24, 36, BS53 [4], Bl. 8
und 16). Der Direktor beschließt jedoch, das Exposé zu erwerben und lässt nach dem
„Dichter“ schicken. Dieser sitzt bereits seit Tagen im „Vorzimmer“ und wird als „Jam-
mergestalt“ in einem „Regenmantel“ bezeichnet (Bl. 2). Der Name des Dichters ist
„Schnatterpfeil“ (ebd.), was Mayberg mit den Worten „Kein alltäglicher Name“ (ebd.)
quittiert. Er habe „ein paar wunderschöne Gedichte“ (ebd.) geschrieben. Der Auftritt
des Dichters Schnatterpfeil auf Bl. 3 und 4 wird dann zur platten Burleske. Der Dich-
ter behauptet, dass sein Künstlername eigentlich „von der Aue“ (Bl. 3) sei. Der Di-
rektor erklärt ihm, dass er „zeitlich als erster die Idee eingereicht“ habe und dass er
sein „Exposé“ kaufen wolle (vgl. den Streit um die Ersteinreichung zwischen der Un-
bekannten bzw. Huelsen und Mayberg in TS16/BS71, Bl. 11f., TS17 und K3/TS21/BS52,
Bl. 9 und 24). Als er ihn nach dem Preis fragt, gibt dieser zu erkennen, dass er kein
Geld brauche, da sein Bruder ein Wirtshaus habe. Es gehe ihm nur um den Film, da-
rum, dass sein Film gemacht werde. Der Direktor kontert jedoch, dass sein „Film“, ge-
meint ist das Drehbuch, nichts sei, „d.h. er ist gescheit, klug, dichterisch, aber völlig
unfilmisch“ (vgl. TS16/BS71, Bl. 13 und 40 sowie TS17 und K3/TS21/BS52, Bl. 9 und
24). Deshalb wolle er dem Dichter zwar seine „Idee“ zahlen bzw. den „Titel“, der „ein
historischer Titel ist gewissermassen“ (Bl. 3), aber sich sonst zu nichts verpflichten.
Parallelen dieser Handlungselemente zu Horváths wahrscheinlich stattgefundenen
eigenen Versuchen, den Stoff der Unbekannten als Filmsujet zu verarbeiten, sind an-
zunehmen (vgl. die Listen „Fünf Filme“ K3/E14 und E15, die allerdings später entstan-
den sind). Der Dichter bekennt, dass ihn diese „Maske“ (Bl. 4) „seit Jahren“ beschäf-
tige: „[I]ch hab unzähliges versucht, bis ich die rechte Lösung gefunden habe!“
(ebd.). Zuletzt droht der Dichter damit, einen Prozess gegen den Direktor anzuzet-
teln, wenn er nicht sein Exposé verfilmt, sondern nur seine Idee bzw. seinen Titel
übernimmt. Schnatterpfeil bezeichnet die Filmleute schließlich als „Raubritter der
Leinwand“ (ebd.), was der Direktor sogleich von seinem Sekretär als möglichen Film-
titel notieren lässt. Nach Schnatterpfeils Abgang gibt Mayberg zu bedenken, dass es
„nicht leicht ist“ „[ü]ber eine Maske etwas zu schreiben, das Leben zu rekonstruie-
ren, über die man nichts weiss“, hofft aber, dass „unseren Autoren“ (ebd.) etwas ein-
fällt. Der Direktor– zuletzt in einer nachträglich eingefügten Notiz auch mit dem Na-
men Semper bezeichnet – meint, er habe „unsere besten drei Autoren“ damit
beauftragt, etwas zu schreiben, weshalb man doch hoffen könne, dass etwas Brauch-
bares dabei sei. Damit bricht TS1 ab. Dieses Handlungselement bleibt bis zu den End-
fassungen vonDas unbekannte Leben erhalten (vgl. TS16/BS71, Bl.16 und 106 sowie
TS17/BS 52, Bl. 48 und 93). In der Endfassung von Mit dem Kopf durch die Wand
(K3/TS21) treten die drei Drehbuchautoren Hell, Barbou/Simone und Mayberg nicht
mehr auf. Dort soll zuletzt Huelsen das Drehbuch zum Film über die Unbekannte
schreiben (vgl. K3/TS21/BS 53 [4], Bl. 16).
Horváth wollte zumindest einen Teil von TS1 verschieben, wie eine Eintragung mit
schwarzblauer Tinte auf Bl. 1 ersehen lässt. Dort vermerkt der Autor, dass ein Teil der
Fassung in das zweite Bild des zunächst dritten, dann fünften Aktes übertragen wer-
Wiener Ausgabe sämtlicher Werke
Historisch-kritische Edition, Volume 2
- Title
- Wiener Ausgabe sämtlicher Werke
- Subtitle
- Historisch-kritische Edition
- Volume
- 2
- Author
- Ödön von Horváth
- Editor
- Klaus Kastberger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-058470-7
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 610
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Das unbekannte Leben Mit dem Kopf durch die Wand
- Vorwort 333
- Lesetext 351
- Vorarbeit: Die Unbekannte der Seine 353
- Das unbekannte Leben. Komödie (Endfassung in fünf Akten, emendiert) 675
- Das unbekannte Leben. Komödie (Endfassung in vier Akten, emendiert) 735
- Mit dem Kopf durch die Wand. Komödie (Endfassung in vier Akten, emendiert) 785
- Kommentar 829
- Chronologisches Verzeichnis 831
- Übersichtsgrafik 891
- Hertha Pauli: L’inconnue de la Seine 905
- Anhang 909
- Editionsprinzipien 911
- Siglen und Abkürzungen 920
- Literaturverzeichnis 923
- Inhalt (detailliert) 927