Page - 27 - in Aus Österreichs Höhe und Niedergang - Eine Lebensschilderung
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In der Akademie herrschte damals ein Überschäumen der frei-
heitlichen Bestrebungen. Wie betrachten uns mehr als akademische
Bürger, denn als Zöglinge eines militärischen Internats. Bei manchen
gingen die Hemmungen verloren, die die strenge Zucht des Kadetten-
institutes anerzogen hatte. Wir wurden leichtlebig, gesellschaftliche
Vergnügungen beherrschten unsere Phantasie und hielten uns vom
rigorosen Studium ab. Ich wandte meine Aufmerksamkeit fast nur
den militärischen Fächern zu, dafür war ich am Eisplatz, im Theater
und bei kleinen winterlichen Tanzunterhaltungen ein gern gesehener
Gast. Wie ich dies finanziell mit meiner fixen Monatszulage von fünf
Gulden leisten konnte, ohne in Schulden zu geraten, ist mir heute
ein Rätsel. Freilich waren damals die I^ebensverhältnisse außer-
ordentlich billig. So erhielt man z. B. um sechs Gulden im Monat
den Mittagstisch in einem guten Restaurant. Überdies wurden
den „Herren Akademikern" überall Speziaipreise zugebilligt, und so
konnten wirum einen Spottpreis im Parkett des Stadttheaters sitzen
und uns an der leichtgeschürzten französischen Muse, an den Offen-
bach-Operetten und denWiener Volksstücken von O. F. Berg erfreuen
und uns daran den guten Geschmack verderben.—
Freien Ausgang erhielten wir an Sonn- und Feiertagen und zwecks
Theaterbesuches. Den meisten genügte das nicht, und siesuchten ihre
eigenenWege in dieFreiheit. So kletterten auch wir, meineLieblings-
kameraden Kunz, Baron Mirbach und ich, fast unter Lebensgefahr
über die Mauern. Diese Klettertouren illustrierte Mirbach, der nach-
malige ersteVertreterundPräsident derSezession. Es istewigschade,
daß wir dieseSkizzendesberühmtenTalentesnichtaufbewahrthatten.
In das zweite Jahr fiel die erste Einquartierung (Neunkirchen bei
Neustadt).
Im Gasthof, wo wir die Mahlzeiten einnahmen, saßen wir oft
mit Arbeiterführern beisammen. In der Neimkirchener Gegend ent-
standen damals die großen Fabriketablissements, denen zahlreiche
Arbeiter zuströmten, besonders aus Preußen und den Rheinlanden.
Diese Arbeiterführer entwickelten, zu imserem grenzenlosen Er-
staunen, ihre sozialistischen Ideen. Namentlich einer, der ,,auch bei
Düppel gewesen", konnte sich an freiheitlichen Worten nicht genug-
ttm und sprach dabei stets reichlich dem Bier und dem Wein zu.
Begreiflicherweise stieß uns dies im hohen Maße ab, und noch nach
Jahren erschienenmanchemvon uns sozialistischeIdeen undtrunkene
Arbeiterführer wie synonyme Begriffe. Eine Anschauung, die dann
durch das Leben in andere Bahnen geleitet wurde.
Große Ereignisse brachte der nächste Sommer ; denn wir schrieben
das Jahr 1870!
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Aus Österreichs Höhe und Niedergang
Eine Lebensschilderung
- Title
- Aus Österreichs Höhe und Niedergang
- Subtitle
- Eine Lebensschilderung
- Author
- Auffenberg von Komarów
- Publisher
- Drei Masken Verlag München
- Location
- München
- Date
- 1921
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.4 x 21.6 cm
- Pages
- 536
- Categories
- Geschichte Nach 1918