Page - 96 - in Aus Österreichs Höhe und Niedergang - Eine Lebensschilderung
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Regierung geweiht, oft sogar geopfert hatten, und die nun meist
kurzerhand vor die Tür gesetzt wurden. Da war wohl wieder einmal
von der berühmten Ritterlichkeit nicht das geringste zu spüren.
Das zweite große Ministerium Wekerle vereinigte alle Gegensätze
in sich, da es ja mehr oder weniger alle Parteien aufnahm: Andrassy,
Apponyi, Kossuth, Adalbert Zichy und sogar den äußerst linken Po-
lonyi. Ein Wunder, daß dieses Mosaik— Polonyi wurde allerdings
bald ausgeschifft— fast vier Jahre bestehen konnte. Freüich waren
die äußeren Verhältnisse in jener Zeit, besonders in den Jahren 1908
imd 1909, danach angetan, daß auch äußerst Linksstehende sich mit
denVerteidigungsmaßnahmen desStaates ernsthaft befassen mußten,
und eine, wenn auch nur äußerliche Kontinuität dringendst nötig
erschien.
So fristeten sich beide Staaten mühselig fort— namentlich be-
treffs der militärischen Einrichtungen —, und es ist bezeichnend,
daß das vollkommen rückständige, imzureichende Wehrgesetz von
1890 von Jahr zu Jahr provisorisch verlängert wurde. Dabei war
die Heeresleitung aber gezwungen, die gekünsteltsten Verfügimgen
zu treffen, um mit einem gänzlich imzulänglichen Rekrutenkontin-
gent die unausweichlich nötigen Neuformationen zu schaffen. Eine
klägliche Misere, die vom Ausland sorgsamst verbucht wurde.
Ende 1909 und Anfang 1910 gelang es den Bemühungen der libe-
ralen Koryphäen: Khuen, Tisza, Lukacs usw., die Partei unter dem
Namen ,,Arbeitspartei" zu ralliieren, wodurch ermöglicht wurde,
aus derselben wieder ein Ministerium zu bilden, dessen Präsidium
Graf Khuen übernahm. Im Sommer 1910 erfolgte ein neuer, von
Elhuen mit allen Mitteln beeinflußter Wahlgang, der eine große Re-
gierungsmajorität brachte. Mit dieser regierte er bis April 1912.
Versuche, das neue Wehrgesetz mittels Konzessionen auf Kosten der
Kronreservatrechte durchzubringen, brachten ihn dann in Gegensatz
zum Kriegsminister. Hierüber wird noch in einem späteren Kapitel
gesprochen werden.
Meine Lebensschilderungen aufnehmend, sei noch bemerkt, daß
ich mich in den letzten Monaten meines Raaber Aufenthaltes mit
einer statistischen Studie beschäftigte: Erhebungen nach offiziellen
Daten, in welchen Verhältniszahlen die verschiedenen Völker imd
Stämme der Monarchie an der Zusammensetzung des k. u. k. Heeres
und der Kriegsmarine beteiligt waren. Die daraus entstandenen Be-
rechnungen gründeten sich auf das Jahr 1903 mid erbrachten zur
Evidenz den Ungeheuern Prozentsatz von Berufsmüitärs aller Grade,
der von den Deutschen der Monarchie beigestellt wurde. Zehn Jahre
später ließ ich als Armeeinspektor erneut Erhebungen über diese
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Aus Österreichs Höhe und Niedergang
Eine Lebensschilderung
- Title
- Aus Österreichs Höhe und Niedergang
- Subtitle
- Eine Lebensschilderung
- Author
- Auffenberg von Komarów
- Publisher
- Drei Masken Verlag München
- Location
- München
- Date
- 1921
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.4 x 21.6 cm
- Pages
- 536
- Categories
- Geschichte Nach 1918