Page - 127 - in Aus Österreichs Höhe und Niedergang - Eine Lebensschilderung
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der Zufall, oder wie immer man das Ding über und außer uns nennen
will, sich ein kleines Kabinettstück leistete.
Bei all seinem Interesse für die Armee kümmerte sich der Erz-
herzog bishin wenig um die Persönlichkeiten der Generalität und
kannte daher die wenigsten davon. Somit war ich gar nicht über-
rascht, daß mich Franz Ferdinand während des Abends nicht an-
sprach, wohl aber darüber, daß er am Schlüsse, just als ich mitdem
Gendarmerieinspektor, Feldmarschalleutnant von Tisljar, die gemein-
same Heimfahrt vereinbarte, rasch auf ims zukam und mich ins Ge-
spräch zog. Zu meinem noch größeren Erstaunen ging der Erzherzog
vom Fleck weg auf das politische Gebiet über und fragte mich über
meine Meinung ob einiger politischer Vorgänge. Im Laufe des Ge-
spräches schnitt ich dann selbst die südslawischen Verhältnisse an,
denen ich ein so großes Interesse entgegenbrachte. Franz Ferdinand
folgte meinen Darlegungen auf das aufmerksamste, lobte die Hal-
tung der Kroaten in der ihm eigenen übersprudelnden Art und gab
auf meine Frage die formelle Erlaubnis, seine Worte den Kroaten
übermitteln zu dürfen. Tags darauf bot mir der Flügeladjutant des
Erzherzogs, Oberstleutnant Brosch, den Schlüssel zu dieser eigen-
artigen Unterredung. Franz Ferdinand hatte nämlich mit Tisljar
sprechen wollen, und da er diesen auch nur flüchtig kannte, so hatte
er mich mit ihm verwechselt. Zu Brosch hatte der Erzherzog dann
gesagt: ,,General Tiäljar ist ein sehr vernünftiger, wohlversierterMann,
mit zutreffenderAuffassung derVerhältnisse. Ich will seine Ansichten
öfter einholen!", worauf der Adjutant die Verwechslung aufgeklärt
hatte. Von diesem Momente an war ich gewissermaßen der Mann
des Thronfolgers. Er legte Wert auf meine Meinung über schwebende
Fragen, ließ sich meine Anschauungen wiederholt durch Brosch ver-
mitteln, und ausschließlich er war die treibende Ursache, daß ichim
Herbst 1911 das Ministerpalais „Am Hof" bezog. Ich will durchaus
nicht sagen, daß dieser Zufall auch ein Glücksfall war. Vielleicht
hätte ich auch ohne ihn meinenWeg gemacht. Jedenfalls wären mir
aber der wahrhaft fanatische Neid undHaß und jene Verfolgungswut
erspart geblieben, die sich später an meine Fersen hefteten und mir
mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln den Garaus machen
wollten. Doch eine kleine Meisterleistung schicksalsmächtiger Will-
kür bleibt jener Vorfall doch und zeigt deutlich, daß wir im Leben
nicht schieben, sondern geschoben werden.
Mitte Juni fuhr ich in die Tatra— das Wahrzeichen Ungarns— ,
wo die Korpsoffiziersschule des VI. Korps die Sommerübtmgen ab-
hielt. Trotz der Jahreszeit waren die Berge tief verschneit. Dieser
kurze, mitten im langgestreckten karpathischen Mittelgebirgswall an-
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Aus Österreichs Höhe und Niedergang
Eine Lebensschilderung
- Title
- Aus Österreichs Höhe und Niedergang
- Subtitle
- Eine Lebensschilderung
- Author
- Auffenberg von Komarów
- Publisher
- Drei Masken Verlag München
- Location
- München
- Date
- 1921
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.4 x 21.6 cm
- Pages
- 536
- Categories
- Geschichte Nach 1918