Page - 145 - in Aus Österreichs Höhe und Niedergang - Eine Lebensschilderung
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und den Franziskanern schlichten wollte. Dieser vatikanische Send-
bote, ein französischer Belgier, nahm Sitz und Aufenthalt bei den
,,Töchtern der göttlichen Liebe", denen er sinnverwirrend viel Welt-
lichkeit in die asketischen Klostermauern brachte.— Schließlichkam
.Minister Burian, mit dem ich aber diesmal nur eine flüchtige Aus-
sprache hatte, bei der mein zukünftiger Kollege höchst zugeknöpft
blieb. Nennen wir's diplomatisch! — Zur selben Zeit war auch
Dr. Renner, der nachmalige Staatskanzler in der Republik Öster-
reich, in Sarajewo anwesend. Schon damals galt er als Leuchte der
sozialdemokratischen Partei und reiste zweifelsohne zu Propaganda-
zwecken. Er suchte mich auf, was Gelegenheit zu einer anregenden
Konversation gab. Keiner von uns beiden hätte es sich damals wohl
träumen lassen, daß unsere Schicksale so eigenartig verlaufen würden.
Im Juni traf Potiorek als Landeschef ein und wurde fast mit sou-
veränen Ehren empfangen, wie es in jenem Lande Brauch, doch auch
Notwendigkeit war. Nachdem ich das Offizierskorps vorgestellt und
den neuen Landeschef begrüßt hatte, hielt dieser eine höchst gehalt-
volle Ansprache, aus derman den Kanonendonner eines nahen Krieges
dröhnen hörte. Die Tatsachen gaben ihm bald recht, doch damals
kamen seine Äußerungen überraschend. Ich glaube kaum, daß die
oberste Staats- und Heeresleitung davon vorher Kenntnis gehabt
hatte.
Potiorek, einer der begabtesten Männer, die ich kennen lernte,
war von emsigem Fleiß und verzehrendem Ehrgeiz beseelt. Er be-
saß ein umfassendes Wissen, das ihn die Ursachen und Zusammen-
hänge der großen geschichtlichen Geschehnisse erkennen ließ. Von
seiner Bedeutung und providentiellen Sendung durchdrungen, war
er im Innern wohl stets vorbereitet, mit den schwierigsten Aufgaben
betraut zu werden. Sein Unglück und Verhängnis war, daß man
ihm von Jugend an immer Weihrauch gestreut und ihn zum Größen-
wahn erzogen hatte. Überdies sonderte er sich von den Menschen
ab, führte ein KJausnerleben und verlor hierdurch den realen Boden.
Der allererste Beginn seiner Tätigkeit in Bosnien-Herzegowina war
noch deren bester Teil. Da fand sein Hang zur Zurückgezogenheit
eine Erklärung darin, daß er alles studieren und sich über alles in-
formieren müsse. Nur diesen ersten Teil seiner Wirksamkeit nahm
ich persönlich wahr. Wie es dann zum großen und doppelten Zu-
sammenbruch — zum politischen und militärischen — kommen
konnte, vermag ich nicht mit voller Sicherheit anzugeben. Jeden-
falls verließ ihn auf dem Höhepunkt seines Lebens, am Gipfelpunkt
der Winteroffensive gegen Serbien (1914), der Hauptfaktor, „das
Glück", vollständig.
10 Auffenberg 145
Aus Österreichs Höhe und Niedergang
Eine Lebensschilderung
- Title
- Aus Österreichs Höhe und Niedergang
- Subtitle
- Eine Lebensschilderung
- Author
- Auffenberg von Komarów
- Publisher
- Drei Masken Verlag München
- Location
- München
- Date
- 1921
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.4 x 21.6 cm
- Pages
- 536
- Categories
- Geschichte Nach 1918