Page - 173 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Image of the Page - 173 -
Text of the Page - 173 -
Max Dvořák (1874–1921) 173
das genealogische Interesse hinaus sieht Dvořák diese „Ahnengalerie“ als „eine ununter-
brochene historisch entstandene Reihe von Dokumenten […], durch welche die Wand-
lungen des Kulturlebens des böhmischen Adels vom Anfang des XVI. Jahrhunderts bis in
die Gegenwart illustriert werden“. Sie veranschaulicht für ihn den folgenreichen Wandel,
den die „Hispanisierung der führenden Klassen“ Europas im 17. Jahrhundert, eine we-
sentliche Voraussetzung der Gegenreformation, bewirkt hatte14. Die Spanierin Polyxena
von Lobkowitz, die 1618 nach dem Prager Fenstersturz den kaiserlichen Statthaltern
Zuflucht gewährt hatte, vertrete geradezu paradigmatisch diesen Prozess15. Ein solcher
Schluss vom einzelnen Kunstwerk auf den großen historischen Zusammenhang ist für
Dvořáks Denken insgesamt symptomatisch, auch wenn die hier noch wichtige konkrete
historische Kontextualisierung in späteren Arbeiten – gerade auch den „geistesgeschicht-
lichen“ – in den Hintergrund treten wird.
Aber nicht nur die neuzeitliche, auch die mittelalterliche Vergangenheit seiner Hei-
mat regt Dvořáks wissenschaftliches Interesse an. In der Studie über „Die Illuminato-
ren des Johann von Neumarkt“ (1902), mit der er sich habilitierte, ist das erste Kapi-
tel den Handschriften des 13. und 14. Jahrhunderts aus der ehemaligen Bibliothek des
Raudnitzer Augustinerchorherrenklosters gewidmet, die seit der Säkularisation im Prager
Nationalmuseum aufbewahrt werden16. Auch hier geht es Dvořák nicht um eine bloße
Bestandsaufnahme, er sucht Argumente für seine – heute noch gültige – These, dass die
Sonderstellung der böhmischen Malerei der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts durch
die Beziehung nicht nur zu Frankreich, sondern vor allem auch zu Italien begründet sei.
Die Eingangspforte italienischer Kunst in West- und Nordeuropa sei der päpstliche Hof
in Avignon gewesen, dem Dvořák eine Schlüsselstellung zuweist17. Gerade das Augusti-
hoff, Gutachten zu Dvořák anlässlich der Besetzung der Wiener Lehrkanzel nach dem Tod Alois Riegls
(08.07.1905) : Bei einer Inventarisierung der Kunstschätze im Schlosse Raudnitz hat er [Dvořák] über 40 bisher
ganz unbekannte spanische Bilder entdeckt aus der Zeit Philipp II. und Philipp III., so dass dieses österreichische
Schloss an Besitz an alten spanischen Bildern gleich neben der Gallerie von Madrid kommt. UAW, Phil. Fak., PA
Julius von Schlosser.
14 Dvořák, Spanische Bilder (wie Anm. 8) 211, 226.
15 Ebd. 225f ; Polyxena, Tochter der aus spanischem Hochadel stammenden Maria Maximiliana Manrique de
Lara y Mendoza, war in zweiter Ehe mit Zdenko Adalbert von Lobkowitz verheiratetet. Durch sie kam Raud-
nitz 1592 von den Rosenbergs in den Besitz der Lobkowitz.
16 Max Dvořák, Die Illuminatoren des Johann von Neumarkt (1902), in : ders., Gesammelte Aufsätze (wie
Anm. 8) 74–207, hier v. a. 87–107. Schon zuvor war erschienen : Max Dvořák, Knihovna Augustiniánského
kláštera v Roudnici, in : Český časopis historický 6 (1900) 118–131.
17 Vgl. Franz Wickhoff, Commissionsbericht über das Habilitationsgesuch des Herrn Dr. Max Dvořák,
08.03.1902 : Zum ersten Male wird in streng wissenschaftlicher Weise die Bedeutung des päpstlichen Hoflagers in
Avignon für die Entwicklung der europäischen Kunst gezeigt, nachgewiesen, wie sich dort italienische und franzö-
sische Kunst durchdringen und zu einem neuen Stile verbinden, und wie von dort aus weithin wirkende Anstösse
zu einem naturalistischen Kunstschaffen ausgehen. UAW, Phil. Fak., PA Max Dvořák. Die Avignon-These stieß
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien