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Max Dvořák (1874–1921) 199
der Richtung eines neuen, geistigen, antimaterialistischen Weltalters“ zu weisen171. Der
geistesgeschichtliche Kunsthistoriker ist hier zum Propheten geworden.
Trotz solcher ebenso emphatischer wie weltfremder Aktualisierungen darf man Dvořák
jedoch nicht auf das naheliegende Etikett ‚expressionistischer Kunsthistoriker‘ reduzie-
ren. Dagegen spricht nicht nur die größere Differenziertheit seiner Vorlesungen, sondern
auch ein auf den ersten Blick eindeutig „expressionistischer“ Text, Dvořáks letzte Publika-
tion überhaupt : das 1921 erschienene Vorwort zu Oskar Kokoschkas Grafikmappe „Das
Konzert“, welche die wechselnden Empfindungen einer Frau beim Hören von Musik dar-
stellt172 (die Porträtierte ist Kamilla, die Frau von Dvořáks Assistenten Swoboda, die, 1934
von ihrem Mann geschieden, 1943 als Jüdin nach Theresienstadt deportiert und ermor-
det wurde173). Diese Variationen über ein Thema vergleicht Dvořák mit Claude Monets
Getreideschober-Serie und sieht hier den erhofften Umschlag vom Materialismus des 19.
Jahrhunderts zum „Zukunftsreich“ des Idealismus angekündigt. Radikale Abstraktion ist
für ihn also nur ein krisenhafter Übergang. Für die kommende Zeit erwartet er einen den
expressionistischen Subjektivismus überwindenden, wieder zum Ausgleich mit der Natur
gelangten „Idealstil“174. Er antizipiert hier die tatsächliche spätere Entwicklung Kokosch-
kas, der zu einem erbitterten Gegner der Abstraktion wurde, weil diese die Darstellung
des Menschen vernachlässige175. Der von der Erfahrung der antagonistischen Moderne so
affizierte Dvořák sympathisiert also offenbar doch vor allem mit einem konservativen Aus-
gleich der Gegensätze. Bezeichnenderweise sieht er in seiner letzten Vorlesung ausgerechnet
im Manierismus, als dessen Entdecker er doch bis heute bekannt ist, eine Gefahr, die durch
die Syntheseleistung des Barock überwunden werden musste.176
Der „expressionistische“ Duktus der späten Texte Dvořáks, vor allem der pathetisch
übersteigerten Vorträge, beförderte gleich nach seinem Tod die Popularität, ließ seine An-
sichten aber auch bald als „démodé“ erscheinen. Schon die Vertreter der nüchtern-szien-
tistischen „Neuen Wiener Schule“ distanzierten sich von Dvořák177. Ernst Gombrich kri-
tisierte scharf die „physiognomic fallacy“, die Illusion einer durch den visuellen Charakter
der Form unmittelbar offenbarten Erkenntnis, wie sie der für die geistesgeschichtliche
171 Ebd. 270, 276.
172 Dvořák, Kokoschka (wie Anm. 87).
173 Vgl. den Beitrag von Alena Janatková in diesem Band. Außerdem : Oskar Kokoschka. Das Konzert. Variatio-
nen über ein Thema. Hommage à Kamilla Swoboda, hg. v. R. Graf Bethusy-Huc (Salzburg 1988).
174 Vgl. dazu Aurenhammer, Dvořák über Kokoschka (wie Anm. 5).
175 Schon 1920 gestaltete Kokoschka in dem Gemälde ‚Macht der Musik‘ dasselbe Thema, das er auch im Gra-
fikzyklus variiert : nur ist es jetzt in einer monumentalen Allegorie mit wenigen Figuren gestaltet, nicht zer-
splittert in Einzelnotate psychischer Reaktion.
176 Dvořák, Geschichte der italienischen Kunst II (wie Anm. 153) 199.
177 Guido Kaschnitz von Weinberg, Alois Riegl : Spätrömische Kunstindustrie (Rezension von 1929), in :
ders., Kleine Schriften zur Struktur (Berlin 1965) 12.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien