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Martin Wutte (1876–1948) 239
Für Wutte und seine Gesinnungsgemeinschaft hieß „Heimattreue“ aber in erster Linie
ein bedingungsloses Festhalten an der Kärntner Landeseinheit, dem alle anderen „Heima-
ten“ unterzuordnen waren. Aufgrund der vorherrschenden politischen Kräfteverhältnisse
waren damit Anliegen der slowenischen Volksgruppe vor allem in kulturpolitischen Fra-
gen von Anfang an mit Einschränkungen konfrontiert. Jener Personenkreis, der 1920 das
Selbstbestimmungsrecht gesetzmäßig ebenso in Anspruch genommen und für den SHS-
Staat optiert hatte, galt aber in führenden Kreisen des politischen Kärntens als nicht hei-
mattreu. Ein „heimattreues Selbstbestimmungsrecht“, das eine klassische contradictio in
adjecto ist, war kein Thema öffentlicher Diskussion, ebenso die einseitige Definition des
Heimattreuebegriffes, der die Assimilation der slowenischsprachigen Bevölkerung gewiss
nicht entschleunigt hat. Auch wenn für den Anpassungsprozess der Slowenen mehrere
Ursachenmomente heranzuziehen sind, wie die Unterbrechung der Immigration nach
Kärnten aus slowenischen Siedlungsgebieten südlich der Karawanken, eine starke Emig-
rationsbewegung bereits um 1900150, ein Protestverhalten gegen die Vereinnahmung nati-
onalslowenischer Funktionäre usw. sprechen die Zahlen eine allzu deutliche Sprache. Den
für das Jahr 1910 geschätzten rund 65.000 Angehörigen der slowenischen Volksgruppe in
Kärnten151 standen nach der letzten konventionell geführten Volkszählung in Österreich
(2001) knapp 13.000 Personen mit slowenischer Sprache gegenüber. Dass die Assimilier-
ten im politisch lange Zeit deutschnational-liberal bestimmten Land einem deutschen
Kärnten zugerechnet worden sind, mag Wutte begrüßt haben. Dass in der slowenisch-
sprachigen Bevölkerung Kärntens damit aber vermutlich mehrheitlich ein Bekenntnis zur
„Nation Österreich“ verknüpft war, ist keine kühne These, wie schon ein Überblick zur
Geschichte der Slowenen im Verbund des Habsburgerstaates, zeigt152.
quer über alle politischen Lager hinweg : Heimat, bist du … Sichtweisen, hg. v. Ulfried Burz, Gerda Krai-
ner, Wolfgang Lehofer (Klagenfurt 1999).
150 Die Slowenen hatten 1900 und 1910 in der cisleithanischen Reichshälfte den mit Abstand größten negativen
Wanderungssaldo. Siehe dazu Peter Vodopivec, Bevölkerungsentwicklung und demographische Prozesse
in den von den Slowenen besiedelten Gebieten (1860–1914) in : Demographic Changes in the Time of In-
dustrialization (1750–1918), hg. v. Ioan Bolovan, Rudolf Gräf, Harald Heppner, Ioan Lumperdean
(Transylvanian Review 18, Supplement 1, 2009) 380–390, hier 380.
151 Basis ist das Kärnten in den Grenzen von 1920.
152 Vgl. Peter Vodopivec, Von den Anfängen des nationalen Erwachens bis zum Beitritt in die europäische
Union, in : Slowenische Geschichte. Gesellschaft – Politik – Kultur, hg. v. dems., Peter Štih, Vasko Simo-
niti (Veröff. der Historischen Landeskommission für Steiermark 40/Zbirka Zgodovinskega Časopisa 34,
Graz 2008) bes. 283–296.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien