Page - 7 - in Opfernarrative in transnationalen Kontexten
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Einleitungâ â
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und sensibilisieren dafĂŒr, dass Gezeigtes stets durch das Nicht-Gezeigte bedingt
und konturiert ist. Aber auch wenn die âUnverfĂŒgbarkeit und UnzulĂ€nglichkeit
der Spracheâ (Nagy) â die sich in fragmentarischen, enttotalisierenden Ăsthetiken
wider
spiegelt â eine groĂe Rolle spielt, geht es gerade auch um eine (zumindest
partielle) Ăberwindung der traumatischen Sprachlosigkeit und Stummheit, um
ein â in Anlehnung an den Comic Liebe schaut weg formuliertes â âHinschauenâ,
das âlatente Opferbilder aus dem Offâ (Heidemann) konturiert und aus dem hege-
monialen Erinnerungsnarrativ ausgeblendete Geschich
te(n) â wie die der KĂ€rntner
Slowen*innen und ihrem Widerstand im Zweiten Weltkrieg (Nagy)Â
â palimpsestartig
in die Gegenwart holt. Gerade auch der âdoppelte Blickâ von Migrationsautor*innen,
der den Fokus auf âKreolisie
rungsprozesseâ im Rahmen individuellen und kollekti-
ven Erinnerns lenkt, erweist sich in diesem Zusammenhang als produktiv (Nagy),
lĂ€sst er doch bevorzugt die AusschlĂŒsse sichtbar werden, die in der Mehrheitsge-
sellschaft zur kollektiven IdentitÀtsbildung und Sinnstiftung instrumentalisierbare
TÀter-Opfer-Dichotomien ermöglichen und konsolidieren.
Gudrun Heidemann rĂŒckt in ihrem Beitrag mit dem Titel âEingeblendete
NS-Opfernarrative: GenerationsĂŒbergreifende Latenz-Effekte in Literatur (Rym-
kiewicz, Wodin) und Comic (Hoven)â drei postmemoriale literarische Narra-
tionen des Holocaust in den Blick, die sich von verkitschten ReprÀ sentationen
jĂŒdischen Leidens lösen und â durch komplexe Verquickungen von Text und
Bild â vor allem die Darstellbarkeit von TĂ€terschaft und Opferstatus problema-
tisieren. Ganz besonders interessiert sich die Autorin fĂŒr fotografische Leerstel-
len und UnschĂ€rfen, die in den Texten den Anlass fĂŒr differenzierte Opfer- und
TĂ€ternarrative abseits von vereinfachenden Schematisierungen geben. JarosĆaw
Marek Rymkiewiczs Umschlagplatz, Natascha Wodins Sie kam aus Mariupol â
zwei stark autobiografisch geprĂ€gte Texte â sowie den Comic Liebe schaut weg
von Line Hoven eint, vor allem auch aufgrund ihrer Bezugnahmen auf fotogra-
fische âAugen-Zeugnisseâ, die Wichtigkeit des in Fotografie und Psychoanalyse
gleichermaĂen bedeutsamen Begriffs der Latenz, der geeignet erscheint, um Aus-
blendungen und Leerstellen zu konturieren sowie die Wirkungen eines solchen
(transgenerational weitergegebenen) Ungesagten bzw. Unsagbaren auf Nachfol-
gegenerationen fassbar zu machen und zu profilieren.
Ausgehend von der These, dass der Holocaust mit Ende des zwanzigsten Jahr-
hunderts zu einem erinnerungspolitisch universalisierten Symbol fĂŒr Opfer und
Leiden geworden ist, untersucht Ljiljana RadoniÄ in ihrem Beitrag zum Thema
âOpfer ausstellen: Individuelle und kollektive Opfernarrative in postsozialisti-
schen Gedenkmuseenâ die Auswirkungen dieses Universalisie rungsprozesses
auf Ausstellungspraxen in unterschiedlichen postsozia listischen Gedenkmu-
seen. Die Autorin unterscheidet zwei Typen von Gedenkmuseen, die exempla-
risch die Doppeldeutigkeit dieser Entwicklung aufzeigen: jene, die ihre westlich-
Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Title
- Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Editor
- Eva Binder
- Christof Diem
- Miriam Finkelstein
- Sieglinde Klettenhammer
- Birgit Mertz-Baumgartner
- Marijana MiloĆĄeviÄ
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069346-1
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 350
- Keywords
- Opfernarrative, zeitgenössische Literatur, transnationale Erinnerung, TransnationalitÀt
- Category
- LehrbĂŒcher