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Einleitendes zur jüdischen
Migrationsgeschichte
Charakteristika und Spezifika
Die vergangenen Jahrhunderte kannten zahlreiche größere und kleinere Wande-
rungsbewegungen, die die einzelnen Kontinente in ihren demographischen, sozio-
ökonomischen, sprachlichen und kulturellen Strukturen, kurz: in ihrer grundle-
genden Beschaffenheit entscheidend prägten und veränderten. Europa wurde in
besonderem Maße von den jüdischen Migrationen geformt, zeichneten sich doch
europäische Jüdinnen und Juden als „Angehörige einer transterritorialen Diaspora-
Bevölkerung“21 gleichermaßen durch eine spezielle Dynamik und eine kulturelle
Vielfalt aus. Obschon sich jüdische Migrationen in den allgemeinen Bevölkerungs-
bewegungen verorten lassen und sich deren grobe zeitliche Gliederung an Schlüssel-
daten der allgemeinen Geschichte orientieren,22 scheinen sie gleichsam spezifische
Merkmale aufzuweisen, die sie von Wanderungen anderer Diaspora-Bevölkerungen
zumindest auf den ersten Blick unterscheiden. Ebenso kontinuierlich wie kont-
rovers wird in der Forschung die Frage diskutiert, ob jüdische Migrationen seit
jeher vor dem Hintergrund von Verfolgungen und Vertreibungen erfolgten und
dadurch ein Unikum in der Migrationsgeschichte darstellen. Befürworter dieser
These wurden noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und verstärkt seit
den 1960er Jahren mit Gegenstimmen konfrontiert, die Migrationen, auch wenn
diese unter Druck und Zwang geschahen, als immer wiederkehrende Begebenhei-
ten der Menschheitsgeschichte verstanden wissen wollten. Die jüdische Geschichte
gesondert von ihrem jeweiligen Kontext zu betrachten, würde zudem Gefahren
einer Verbreitung von antijüdischen Vorurteilen in sich bergen. Tobias Brinkmann
führt in diesem Zusammenhang exemplarisch die Position des russisch-jüdischen
Migrationsforschers Eugene Kulischer (1881–1956) an, der nicht zuletzt aufgrund
des in der christlichen Tradition tief verwurzelten Stereotyps des zur Wanderung
verdammten „Ewigen Juden“ mit Nachdruck davor warnte, Migration als einen
„spezifisch jüdischen Habitus“ zu interpretieren. Im Hinblick auf die mehrfach exis-
tierenden Parallelen und Verflechtungen von Wanderungen jüdischer, christlicher
21 Vgl. Tobias Brinkmann, Jüdische Migration. In: Institut für Europäische Geschichte (IEG) (Hg.),
Europäische Geschichte Online (EGO), Mainz 2010, o. S.; http://www.ieg-ego.eu/brinkmannt-
2010-de [Abruf: 3. 6. 2014]; Gerald Lamprecht/Ulla Kriebernegg, „Nach Amerika nämlich!“ – Jü-
dische Migrationen in die Amerikas im 19. und 20. Jahrhundert. In: Ulla Kriebernegg u. a. (Hg.),
„Nach Amerika nämlich!“ Jüdische Migrationen in die Amerikas im 19. und 20. Jahrhundert,
Göttingen 2012, S. 9–12.
22 Tobias Brinkmann nimmt die folgende Unterteilung und Charakterisierung vor: 1492–1789: Ver-
treibung aus Spanien und Aufstieg der osteuropäischen Diaspora; 1789–1914: Massenmigration
aus Osteuropa und „Metropolisierung“; 1914–1948: Vertreibung, Shoah und die Gründung Israels.
Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Title
- Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
- Subtitle
- Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Author
- Victoria Kumar
- Publisher
- Studienverlag Ges.m.b.H.
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7065-5419-0
- Size
- 15.6 x 23.4 cm
- Pages
- 216
- Keywords
- Palestine/Israel, Aliyah/Zionism, Jewish history of Austria, National Socialism in Austria, Palästina/Israel, Alijah/Zionismus, Jüdische Geschichte Österreichs, Nationalsozialismus in Österreich
- Categories
- Geschichte Nach 1918