Page - 24 - in Land der Verheißung – Ort der Zuflucht - Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
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jüdisch-nationalen Lebens wurden zwei genossenschaftliche Siedlungsformen, die
Kibbuzim37 und Moschawoth38, die sich beide im Wesentlichen als Personen- und
Produktionsgemeinschaften mit egalitären Strukturen charakterisieren lassen. Dass
sich die auf Gleichheit und Gemeinschaft fußende Lebensweise an die sozialisti-
sche Ideologie anlehnte, ist in großem Maße auf die Angehörigen der um die Jahr-
hundertwende entstandenen „Kibbuz-Bewegung“ zurückzuführen
– mehrheitlich
waren dies Einwanderinnen und Einwanderer des „ostjüdischen“ Proletariats, die
sich enttäuscht von der misslungenen russischen Revolution (1905 bis 1907) den
Ideen des Zionismus zugewandt hatten und auf die Etablierung einer egalitären
Sozialstruktur der jüdischen Gemeinschaft in Palästina abzielten.39
Vergegenwärtigt man sich die zahlreichen Anforderungen sowohl in ideologi-
scher als auch in geistiger und körperlicher Hinsicht, die der Zionismus und seine
Vertreter an die Immigrantinnen und Immigranten stellten, erscheint es – abge-
sehen von allen mit der Niederlassung verbundenen Schwierigkeiten – nachvoll-
ziehbar, dass jede Einwanderungsphase einen gewissen Prozentsatz an Rückwan-
derern aufweist. Auch unter den Angehörigen der Zweiten und Dritten Alijah, die
weitläufig als Angehörige der Pioniergeneration bezeichnet werden, fand sich eine
beträchtliche Zahl an Yordim, für die die Alijah aufgrund unterschiedlicher Ein-
ordnungsschwierigkeiten nichts mit einem „Aufstieg“ zu tun hatte.
Angesichts der vielfältigen persönlichen Migrationsmotive und der jeweiligen
Besonderheiten der Einwanderungswellen ist der Gebrauch der Begrifflichkeit
„Alijah“ im zionistischen Sinne, wonach die Palästina-Wanderung im Allgemeinen
eine „Erhöhung“ für den Immigranten impliziert, problematisch bis fragwürdig.
Schwierigkeiten birgt auch der Terminus „Exil“ in sich: Folgt man der oben skiz-
zierten zionistischen Auffassung, die die Alijah als „Heimkehr“ bzw. als Rückkehr
in die „altneue Heimat“ der Juden, die Diaspora- bzw. Galuth-Existenz hingegen
als „Exil“ begreift, kann im Falle Palästinas/Israels trotz religiöser und politischer
Verfolgungs- und Vertreibungserfahrungen der betroffenen Einwanderinnen und
Einwanderer im Prinzip schwerlich von einem „Exilland“ gesprochen werden.
Vielmehr, so der Standpunkt Armin A. Wallas’, müsse stets die Komplexität und
Widersprüchlichkeit dieses Ausdrucks bedacht und seine Eignung an Einzelfällen
überprüft werden.40
37 Hebr.: Versammlung. Der Kibbuz ist im Prinzip eine Erweiterung der „Kwuzah“ (Gruppe), einem
Zusammenschluss einer Anzahl (meistens zwischen 50 und 150) landwirtschaftlicher Siedler zu
gemeinsamer Arbeit und Wirtschaft.
38 Der „Moschaw“ (Kolonie) wird als Nachahmung des europäischen Bauerndorfes beschrieben.
Grund und Boden sind unbeschränktes Eigentum der Siedler, die sich in den meisten Fällen dem
Pflanzenbau widmen.
39 Martin Kloke, Die Entwicklung des Zionismus bis zur Staatsgründung Israels. In: Institut für Euro-
päische Geschichte (IEG) (Hg.), Europäische Geschichte Online (EGO), Mainz 2010, o. S.; http://
www.ieg-ego.eu/klokem-2010-de [Abruf: 3. 6. 2014].
40 Armin A. Wallas, Palästina/Israel als Exilland. In: Siglinde Bolbecher/Konstantin Kaiser (Hg.),
Zwischenwelt. Zeitschrift für Kultur und Literatur des Exils und Widerstands. 19. Jg. (2002) Nr. 4,
S. 24. Wallas überprüft die Brauchbarkeit des Terminus anhand mehrerer Biographien von deutsch-
sprachigen Autorinnen und Autoren, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten und mit verschiedenen
Motiven nach Palästina/Israel emigriert sind. Darunter sind sowohl Emigranten/Flüchtlinge, für
Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Title
- Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
- Subtitle
- Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Author
- Victoria Kumar
- Publisher
- Studienverlag Ges.m.b.H.
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7065-5419-0
- Size
- 15.6 x 23.4 cm
- Pages
- 216
- Keywords
- Palestine/Israel, Aliyah/Zionism, Jewish history of Austria, National Socialism in Austria, Palästina/Israel, Alijah/Zionismus, Jüdische Geschichte Österreichs, Nationalsozialismus in Österreich
- Categories
- Geschichte Nach 1918