Page - 25 - in Land der Verheißung – Ort der Zuflucht - Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
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Semantische Schwierigkeiten bereiten nicht nur zahlreiche Begriffe der zionistischen
Terminologie und der Palästina-Wanderung. Nicht wenige Bezeichnungen, die im
Zusammenhang mit Migrations- und Fluchtbewegungen und ganz besonders mit
jenen aus dem nationalsozialistischen Machtbereich auftauchen, erweisen sich als
problematisch. Es erscheint notwendig, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass
der vorliegende Text trotz des Bewusstseins über die Unschärfe, Fragwürdigkeit und
Unangemessenheit mancher Begrifflichkeiten nicht ohne eben diese auskommt.
Ausgehend von der Annahme, dass jüdische Migrationen seit jeher zumindest
partiell unter Zwang erfolgten, da sie zumeist durch verschiedene Notsituationen
in den Ausgangsländern ausgelöst wurden, ist die Verwendung der Begriffe „Aus-
wanderung“ und „Emigration“ für Wanderungsbewegungen von Jüdinnen und
Juden unabhängig von Ziel und Zeitpunkt im Grunde nur unter Vorbehalt mög-
lich. Völlig inadäquat ist der Gebrauch im Kontext der NS-Zeit: Da es sich tatsäch-
lich und unwiderlegbar um organisierte Vertreibung handelte – ein Reichsgebiet
ohne Juden zu schaffen, wurde von den Nationalsozialisten von Beginn an zum
obersten Ziel erklärt und offen als solches artikuliert – sind die Termini „Aus-
wanderung“ und „Emigration“ nichts anderes als Euphemismen, die wesentliche
Umstände verfälschen bzw. ausblenden.41 Dass die Ausdrücke, die stets ein gewisses
Maß an Freiwilligkeit implizieren, im Hinblick auf die Zeit nach dem „Anschluss“
Österreichs an das Deutsche Reich mehr als unangebracht und widersinnig sind,
wird zuallererst deutlich, wenn man sich die massiven Druckmittel, durch die die
jüdische Bevölkerung außer Landes getrieben werden sollte, vor Augen hält. Die
Repressionen reichten von Einschüchterungsmaßnahmen, gesellschaftlichem und
wirtschaftlichem Ausschluss, über die Ausstellung von Ausweisungsbefehlen, bis
hin zu physischen Übergriffen und der angedrohten oder tatsächlichen Deportation
ins Konzentrationslager. Der Auswanderungsvorgang selbst war mit zahlreichen
finanziellen Zwangsabgaben verbunden, während auf die individuellen Bedürfnisse
der Betroffenen keinerlei Rücksicht genommen wurde. Von Freiwilligkeit kann
schließlich auch bei der „Wahl“ des Ziellandes kaum gesprochen werden: Durch die
eingeschränkten finanziellen Mittel einerseits und die mit fortgeschrittener Zeit sin-
die das Land zur neuen Heimat wurde, als auch solche, die es als Asyl oder Exil betrachtet haben.
Die Schwierigkeit, das eigene Verhältnis zu Palästina/Israel zu definieren, thematisiert etwa der
Dramatiker Max Zweig (1892–1992): „Wenn mein Name in einer literarischen Zeitschrift oder
sonst wo genannt wird, werde ich regelmäßig unter die Exilschriftsteller eingereiht. Dagegen muss
ich protestieren, obgleich ich es verstehen kann, dass diese Einordnung aus deutscher Sicht zulässig
sein mag. Ich würde sehr undankbar sein, wenn ich Israel, wo ich aufgenommen, ja gefördert wur-
de, und wo ich unangefochten als Staatsbürger mit allen seinen Rechten und Pflichten lebe, als ein
Exil bezeichnete. Freilich kann ich es auch nicht mein Vaterland nennen; das Land meines Vaters,
des Vaters meines Vaters und der vorangegangenen Generation […] war Österreich […]. Eine
Heimat kann ich Israel nur in dem Sinne benennen, als ich jetzt hier daheim bin; […]. Am ehesten
würde die Benennung ‚Asyl‘ zutreffen; ich habe hier ein freundliches, gastliches Asyl gefunden.
Aber selbst die erlesenste Gastlichkeit und die allerherzlichste Freundschaft können den mitunter
wilden Schmerz des Schriftstellers nicht lindern, der die Gewissheit besitzt, aus dem Bereich seiner
Muttersprache auf ewig verbannt zu sein.“ Max Zweig, Religion und Konfession. Bruchstücke eines
Bekenntnisses, zit. in: Armin A. Wallas, Max Zweigs Israel-Triptychon. Davidia – Saul – Ghetto
Warschau. In: Max Zweig. Kritische Betrachtungen. Hg. v. Eva Reichmann, St. Ingbert 1995, S. 172.
41 Anderl, Emigration, S. 172; Anderl/Rupnow, Zentralstelle, S. 11.
Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Title
- Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
- Subtitle
- Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Author
- Victoria Kumar
- Publisher
- Studienverlag Ges.m.b.H.
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7065-5419-0
- Size
- 15.6 x 23.4 cm
- Pages
- 216
- Keywords
- Palestine/Israel, Aliyah/Zionism, Jewish history of Austria, National Socialism in Austria, Palästina/Israel, Alijah/Zionismus, Jüdische Geschichte Österreichs, Nationalsozialismus in Österreich
- Categories
- Geschichte Nach 1918