Page - 33 - in Land der Verheißung – Ort der Zuflucht - Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
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Irrweg, der weder politische Emanzipation noch eine Veränderung des Außen-
seiterstatus herbeiführen könnte. „Wir haben überall ehrlich versucht, in der uns
umgebenden Volksgemeinschaft unterzugehen und nur den Glauben unserer Väter
zu bewahren. Man lässt es nicht zu. Vergebens sind wir treue und an manchen
Orten sogar überschwengliche Patrioten, vergebens bringen wir dieselben Opfer
an Gut und Blut wie unsere Mitbürger […]“.64 Beeinflusst vom nationalstaatlichen
Denken des 19. Jahrhunderts und den staatstheoretischen Schriften Macchiavellis
und Hegels hielt er die „Judenfrage weder für eine soziale, noch für eine religiöse“,
sondern für eine „nationale Frage“, die als „politische Weltfrage“ behandelt werden
müsse. Herzls Auffassung, wonach eine Nation „eine historische Menschengruppe
von erkennbarer Zusammengehörigkeit“ sei, „welche durch einen gemeinsamen
Feind zusammengehalten“ wird65, würde auch auf die Juden, die er in seiner pro-
grammatischen Schrift „Der Judenstaat“ durchgängig als „Volk“66 bezeichnet,
zutreffen. Als einzig mögliche Lösung der „Judenfrage“ erschien ihm die Sammlung
großer Teile des Judentums in einem eigenen, auf der Grundlage einer gesicherten
Souveränität basierenden Staate, wobei er neben Palästina zunächst auch Argenti-
nien als Territorium in Betracht zog und Vorteile auf beiden Seiten sah: Das riesige
Gebiet mit schwacher Bevölkerung und gemäßigtem Klima in Südamerika stand
der „unvergesslich historischen Heimat“ gegenüber, wo man als neutraler Staat für
Europa „ein Stück des Walles gegen Asien bilden“67 könnte. Detailliert legt er Pläne
zu Aufbau, Finanzierung und Gemeinwesen des Landes dar, spezielles Augenmerk
richtet er auf die Masseneinwanderung, die sich langsam und kontrolliert zu voll-
ziehen hätte:
„Den Abzug der Juden darf man sich […] nicht als einen plötzlichen vorstel-
len. Es wird ein allmählicher sein und Jahrzehnte dauern. Zuerst werden die
Ärmsten gehen und das Land urbar machen. […] Ihre Arbeit [wird] den Ver-
kehr, der Verkehr die Märkte, die Märkte […] neue Ansiedler heran[locken].
Denn jeder kommt freiwillig, auf eigene Kosten und Gefahr.“68
Herzl versuchte seine Ideen nicht nur innerhalb der jüdischen Gemeinschaft zu
verbreiten, sondern stellte sie auch den europäischen Regierungen besonders reiz-
voll dar. Nutzen konnte seiner Ansicht nach vor allem aus der sozioökonomischen
Erleichterung und dem wachsenden Exporthandel (Jüdinnen und Juden wären
noch lange nach der Emigration auf die europäischen Erzeugnisse angewiesen)
64 Herzl, Judenstaat, S. 14 f.
65 Dr. Herzl vor der Fremdeneinwanderungs-Kommission in London. In: Die Welt, Jg. 6 (1902) Nr. 29,
S. 5.
66 Im Gegensatz zu den aus der religiösen Tradition kommenden Frühzionisten, die den Terminus
„Volk“ im eschatologischen Sinn verstanden, verwendete ihn Herzl durchwegs im modern-natio-
nalen Sinne.
67 Herzl, Judenstaat, S. 39.
68 Ebda., S. 36.
Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Title
- Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
- Subtitle
- Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Author
- Victoria Kumar
- Publisher
- Studienverlag Ges.m.b.H.
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7065-5419-0
- Size
- 15.6 x 23.4 cm
- Pages
- 216
- Keywords
- Palestine/Israel, Aliyah/Zionism, Jewish history of Austria, National Socialism in Austria, Palästina/Israel, Alijah/Zionismus, Jüdische Geschichte Österreichs, Nationalsozialismus in Österreich
- Categories
- Geschichte Nach 1918