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Das Palästina-Amt Wien
„Im Anfang hatte das Palästina-Amt mit dem Jischuw wenig Berührung; die
Juden wussten nicht, was sie mit diesem ‚neumodischen‘ Büro anfangen soll-
ten. Manche dachten, es sei dazu da, um nach dem Muster anderer jüdischer
Institutionen Chalukkagelder zu verteilen; andere kamen mit phantastischen
Plänen wirtschaftlicher Art; andere, um gossip zu erzählen und Intrigen
anzustiften. Als keiner von ihnen auf seine Rechnung kam, schrumpfte der
Kreis der Klienten sehr bald zusammen. Es blieben nur wenige Einheimi-
sche, die einen Rat haben wollten, und die Touristen, die Auskunft über
die ‚Sehenswürdigkeiten‘ erbaten. Für diese verfasste ich, um nicht immer
wieder dasselbe herleiern zu müssen, im Jahre 1910 einen ‚Führer durch
Palästina‘ und ließ ihn drucken. Er enthielt nur 20 Oktavseiten und ist ein
Beweis, wie wenig damals Palästina dem jüdischen Touristen zu bieten hatte.
Außer ein paar heiligen Stätten, der Bezalel-Kunstschule, sonstigen Schu-
len, Waisenhäusern, Hospitälern und einem Dutzend Kolonien war nichts
da, was der Erwähnung wert war. Der Tätigkeitskreis des Palästina-Amtes
dehnte sich erst aus, als wir eigene Siedlungen (Kinereth, Ben Schemen,
Chulda) gründeten […].“118
Während für den Großteil der zu Beginn des 20.
Jahrhunderts in Palästina ansässi-
gen jüdischen Bevölkerung
– mehrheitlich Einwanderinnen und Einwanderer, die
im Zuge der Ersten und Zweiten Alijah ins Land gekommen waren – der Zweck
des 1908 in Jaffa gegründeten Palästina-Amtes oben zitierter Schilderung zufolge
anfangs nicht nachvollziehbar war, hatte der Verfasser der Zeilen sehr genaue
Vorstellungen über die Ziele und Tätigkeiten der Einrichtung. Arthur Ruppin
(1876–1943), deutscher Zionist, hatte ein Jahr zuvor eine private Studienreise nach
Palästina unternommen, um sich vor Ort über die Verwirklichungsmöglichkei-
ten des Zionismus zu informieren, und wurde von der „Zionistischen Weltorga-
nisation“ mit der Gründung und Leitung eines Palästina-Amtes beauftragt. Vor
dem Hintergrund der nach Herzls Tod zugenommenen lokalen und nationalen
sowie länderübergreifenden innerzionistischen Auseinandersetzungen sollte die
neue Institution zur zentralen Verwaltungs- und Koordinierungsstelle sämtlicher
zionistischer Aktivitäten werden. Oberste Priorität maß Ruppin dem wirtschaftli-
chen Aufbau des Landes zu, wobei die landwirtschaftliche Kolonisation, genauer
die Konsolidierung bereits bestehender und die Schaffung neuer Kolonien, für
ihn zu diesem Zeitpunkt am bedeutendsten war.119 Aus diesem Grund knüpfte er
seine Anstellung an die Bedingung, eine für die planmäßige Ansiedlung jüdischer
Kolonisten zuständige Gesellschaft zu gründen, die als „Palestine Land Develop-
118 Arthur Ruppin, Briefe, Tagebücher, Erinnerungen. Hg. v. Schlomo Krolik, Königstein 1985, S. 169.
119 Ebda., S. 236.
Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Title
- Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
- Subtitle
- Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Author
- Victoria Kumar
- Publisher
- Studienverlag Ges.m.b.H.
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7065-5419-0
- Size
- 15.6 x 23.4 cm
- Pages
- 216
- Keywords
- Palestine/Israel, Aliyah/Zionism, Jewish history of Austria, National Socialism in Austria, Palästina/Israel, Alijah/Zionismus, Jüdische Geschichte Österreichs, Nationalsozialismus in Österreich
- Categories
- Geschichte Nach 1918