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„Machlakath-Awodah“151, die neben der Zertifikatszuteilung auch für die Berufsbe-
ratung zuständig war, die vorgemerkten Personen vor und überprüfte deren Qualifi-
kation anhand den von der Immigrationszentrale vorgeschriebenen Gesichtspunk-
ten. Der Fragebogen, den die Kandidatinnen und Kandidaten auszufüllen hatten,
erhob neben persönlichen Daten auch genaue Informationen zur beruflichen und
sprachlichen Ausbildung, zu Besitz und Vermögen und zu Mitgliedschaften und
Engagement in zionistischen Organisationen.
Noch vor dem Auswahlverfahren erfolgte eine umfassende ärztliche Untersu-
chung durch einen „Vertrauensarzt“, der den allgemeinen Gesundheitszustand
der Bewerberinnen und Bewerber untersuchte. Zu den allgemeinen Kriterien, die
jede Auswanderin und jeder Auswanderer erfüllen sollte, zählten unter anderem
die einwandfreie körperliche Verfassung, die geistige Einstellung und die fachli-
che Ausbildung. Als höher qualifiziert galten etwa Personen, die in einem für die
Entwicklung des jüdischen Palästina besonders relevanten Beruf (vor allem im
Handwerk) tätig oder vermögend waren. Bei Personen, die über ein gewisses Kapi-
tal verfügten, wurde angenommen, dass diese leichter einen produktiven Erwerb
finden und daneben noch anderen Immigrantinnen und Immigranten oder bereits
ansässigen Jüdinnen und Juden Arbeitsmöglichkeiten verschaffen könnten. Bei glei-
chen Voraussetzungen wurden jene Anwärterinnen und Anwärter bevorzugt, die
bereits Verwandte oder Bekannte in Palästina hatten, die die Neueinwanderer in
irgendeiner Form unterstützen konnten. Familien wurden dann favorisiert, wenn
alle Familienmitglieder erwerbsfähig waren. Die ausgewählten Kandidatinnen und
Kandidaten wurden dem Präsidium zur Bestätigung vorgeschlagen, nach dessen
Zustimmung galt die betreffende Person als zur Alijah bestätigt, sodass mit der
Organisation der Abreise begonnen werden konnte.
Angesichts der beständig geringen Anzahl an Zertifikaten, die die zionistische
Vertretung in Palästina nach Bewilligung der Mandatsregierung an die Palästina-
Ämter ausgeben konnte, legte die „Zionistische Exekutive“ größten Wert auf ein
besonders strenges Auswahlverfahren. Im Begleitschreiben zu den rund 100 Ein-
wanderungserlaubnissen, die der Wiener Zweigstelle von den insgesamt 1.000 im
März ausgegebenen Kategorie-A-Zertifikaten zugeteilt wurden, hieß es:
„Wir möchten Ihnen wiederum dringend nahe legen, bei der Verteilung der
Zertifikate mit der größtmöglichen Umsicht vorzugehen. Die Erteilung eines
solchen Zertifikates an einen Emigranten, wo tausend andere noch länger
darauf warten müssen, ist ein Privileg, das nur den physisch und geistig Ge-
eigneten gewährt werden soll. Dies ist von grundlegender Bedeutung für den
gesamten Fortgang unserer Arbeit in Palästina, denn nur wenn die ersten
Einwanderer imstande sind, die Bedingungen für die produktive Beschäfti-
gung der später Kommenden zu schaffen, kann ein kontinuierlicher und all-
mählich wachsender Strom der Einwanderung in Gange erhalten werden.“152
151 Hebr.: Abteilung für Arbeit.
152 Secretary for Immigration an das Palästina-Amt Wien, 20. 3. 1921. CZA, Z4/40368, S. 138.
Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Title
- Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
- Subtitle
- Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Author
- Victoria Kumar
- Publisher
- Studienverlag Ges.m.b.H.
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7065-5419-0
- Size
- 15.6 x 23.4 cm
- Pages
- 216
- Keywords
- Palestine/Israel, Aliyah/Zionism, Jewish history of Austria, National Socialism in Austria, Palästina/Israel, Alijah/Zionismus, Jüdische Geschichte Österreichs, Nationalsozialismus in Österreich
- Categories
- Geschichte Nach 1918