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die Zeichen an der Wand nicht sehen wollten, zu überzeugen. Die Kinder
waren sowieso auf unserer Seite.“176
In seiner Autobiographie spricht auch Teddy Kollek (1911–2007) die Auseinander-
setzung mit seinen Eltern an. Seiner Entscheidung, die Alijah anzutreten, standen
sie nicht vorbehaltlos gegenüber:
„Es war mein leidenschaftlicher Wunsch, nach Palästina auszuwandern, aber
ich musste mich in Geduld fassen. 1930 ging ich von der Oberschule ab
und trat in einen von unserer Bewegung betriebenen landwirtschaftlichen
Ausbildungsbetrieb ein. Der kleine Bauernhof, welcher der Stadt Wien ge-
hörte, bestand hauptsächlich aus Weinbergen und einem Kuhstall. […] Ich
erinnere mich an lange Auseinandersetzungen mit meinen Eltern in diesem
Sommer. Zuletzt beschworen sie mich, heimzukommen und zumindest die
Oberschule abzuschließen. Ich weiß nicht, ob sie wirklich damit einver-
standen waren, dass ich nach Palästina ging, oder ob sie nur widerstrebend
nachgaben. Ich erinnere mich jedoch sehr genau an ihren Wunsch, dass
ich wenigstens in irgendein Geschäft und nicht in einen Kibbuz eintreten
sollte. […]“177
In Österreich wurde die zu Beginn der 1920er Jahre errichtete Zweigorganisation
des „Hechaluz“ während der ersten Phase ihres Bestehens vorwiegend von osteu-
ropäischen Jüdinnen und Juden aufgesucht. Mit dem konkreten Ziel, nach Paläs-
tina zu emigrieren, absolvierten zahlreiche Chaluzim ihre Hachscharah im Zuge
ihrer Durchreise durch Österreich, zumeist in Form von bezahlter Saisonarbeit bei
jüdischen Gutsbesitzern in der Umgebung von Wien. Auch Mitte der 1930er Jahre
gehörten der Institution und ihrer sich nach politischer Ausrichtung unterscheiden-
den Untergruppen mehrheitlich Kinder osteuropäischer Einwanderer an.178 Laut
Auflistung des Palästina-Amtes verteilten sich die ca. 600 Personen, die sich im
Oktober 1935 in städtischer und landwirtschaftlicher Hachscharah befanden, auf
die folgenden österreichischen Chaluz-Verbände (jeweils in Klammer die Anzahl
der von ihnen unterhaltenen Kibbuzim): Die Mehrheit, nämlich 259 Personen (vor
allem aus „poale-zionistischen“ und unabhängigen Jugendorganisationen), war
direkt beim „Hechaluz“ registriert, der 14 Kibbuzim betrieb. 182 Jugendliche zählte
der „Chaluz Haklal Zioni“179 (11), 57 der „revisionistische“ „B’rith Trumpeldor“ (4),
42 der „Hechaluz Haleumi“ (4), 39 der religiöse „Hechaluz Hamisrachi“ (4) und
33 die „Chaluzgruppe der Radikalen Zionisten“ (1).180 Auffallend an der Zusam-
176 Siehe das Porträt zu Georg Überall (Ehud Avriel) in: Hagen/Nittenberg, Flucht, S. 217–226, hier
S. 219 f.
177 Teddy Kollek/Amos Kollek, Ein Leben für Jerusalem, Hamburg 1980, S. 24 f.
178 Anderl, Generationenkonflikte, S. 81.
179 1934 war die allgemein-zionistische Jugendgruppe aus dem „Hechaluz“ ausgetreten und gründete
den „Hechaluz Haklal Zioni“.
180 Ausführlicher zu den einzelnen zionistischen Gruppierungen siehe das Folgekapitel zu den zionis-
tischen Parteien.
Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Title
- Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
- Subtitle
- Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Author
- Victoria Kumar
- Publisher
- Studienverlag Ges.m.b.H.
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7065-5419-0
- Size
- 15.6 x 23.4 cm
- Pages
- 216
- Keywords
- Palestine/Israel, Aliyah/Zionism, Jewish history of Austria, National Socialism in Austria, Palästina/Israel, Alijah/Zionismus, Jüdische Geschichte Österreichs, Nationalsozialismus in Österreich
- Categories
- Geschichte Nach 1918