Page - 84 - in Land der Verheißung – Ort der Zuflucht - Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
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Intention der Bewegung geht aus einem in der Wochenschrift „Österreich“ im März
1913 veröffentlichten Aufruf an jüdische Eltern hervor:
„Wir wollen unsere Jungen und Mädchen hinausführen in die freie Natur
[…] Junge Juden durch turnerische Zucht zur Herrschaft über den eigenen
Körper, durch Einordnung in harmonisch gefügte Verbände zu gesundem
Gemeinsinn zu erziehen und durch die Zugehörigkeit zu einer frohen jü-
dischen Gemeinschaft ihr Selbstbewusstsein [Hervorhebungen im Original,
Anm.] zu heben, ist eines unserer Ziele.“218
Abgesehen von der angestrebten Stärkung des jüdischen Selbstbewusstseins taucht
in den Statuten des „Blau-Weiß“ weder nationaljüdisches noch spezifisch zionis-
tisches Gedankengut auf und auch das Idealbild des „jüdischen Menschen“ bleibt
abstrakt.219 Beeinflusst durch die kriegsbedingte Zuwanderung zahlreicher osteu-
ropäischer Chaluzim und die 1919 beginnende Dritte Alijah legte der Bund 1922
schließlich die Emigration seiner Mitglieder nach Palästina als alleiniges Ziel fest.
Größere Auswirkungen hatte der Zuzug von jüdischen Flüchtlingen aus Osteuropa
auf den „Haschomer Hazair“, der 1916 in Wien durch den Zusammenschluss der
Mittelschülerorganisation „Zirei Zion“220 und des „Schomrim“221 – beide vormals
getrennt voneinander in Galizien tätig gewesen
– entstanden war und im Hinblick
auf seine chaluzischen Aktivitäten eine Vorreiterrolle einnahm.222 Nachdem der
„Blau-Weiß“-Verein kurzzeitig den hebräischen Namen „Tchelet-Lawan“ (unter
dieser Bezeichnung waren z. B. die Schwesternverbände in der Tschechoslowa-
kei tätig) angenommen und sich der Wiener „Haschomer Hazair“ von der scho-
merischen Weltorganisation getrennt hatte, vereinigten sich die beiden größten
linkszionistischen Jugendverbände zu Beginn der 1930er Jahre zum „Haschomer
Hazair-Blau-Weiß“.
Auf großen Zuspruch stieß der Jugendbund der „Revisionisten“, der sich nicht
nur durch seine starke ideologische Prägung, sondern auch durch sein besonders
straffes Ausbildungsprogramm, das außerdem inhaltlich von der Hachscharah
anderer Vereine differierte, unterschied. Neben geistigen und beruflichen Quali-
fikationen hatten sich die „Betarim“ ebenfalls wehrsportliche Fähigkeiten anzu-
eignen, in denen sie vor allem im Zuge der jährlich stattfindenden Sommerlager
unterwiesen wurden. Hintergrund der paramilitärischen Übungen, die während
des vierwöchigen Aufenthalts zumeist am Wörthersee praktiziert wurden, war ein
erwarteter Kampf in Palästina, für welchen die jungen Einwanderinnen und Ein-
wanderer vorbereitet werden müssten. Als Voraussetzung für die Zulassung zur
„betarischen“ Alijah galt das Absolvieren einer Prüfung: Geprüft wurde etwa das
218 Zit. in: Gaisbauer, Davidstern, S. 434.
219 Fritz Reuwen Kalisch, Blau-Weiß in Österreich 1929–1934. Interview von Herbert Rosenkranz,
Jerusalem 17. 2. 1980, YVA, PKA/E-14, S. 5 f.
220 Hebr.: Jugend Zions.
221 Hebr.: Wächter.
222 Zu den Jugendvereinen „Blau-Weiß“ und „Haschomer Hazair“ in Österreich siehe Gaisbauer, Da-
vidstern, S. 433–438.
Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Title
- Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
- Subtitle
- Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Author
- Victoria Kumar
- Publisher
- Studienverlag Ges.m.b.H.
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7065-5419-0
- Size
- 15.6 x 23.4 cm
- Pages
- 216
- Keywords
- Palestine/Israel, Aliyah/Zionism, Jewish history of Austria, National Socialism in Austria, Palästina/Israel, Alijah/Zionismus, Jüdische Geschichte Österreichs, Nationalsozialismus in Österreich
- Categories
- Geschichte Nach 1918