Page - 100 - in Land der Verheißung – Ort der Zuflucht - Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
Image of the Page - 100 -
Text of the Page - 100 -
100
Sanitäts- und Elektrizitätswesen, im Straßenbau und anderen Bereichen der Infra-
struktur zu verzeichnen. Schrittweise konnten die für ein Gemeinwesen notwendi-
gen politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Institutionen
errichtet und konsolidiert werden. Trotz aller Verbesserungen litten zahlreiche,
vor allem orientalische Zuwanderinnen und Zuwanderer, weiterhin besonders an
den schlechten Wohnverhältnissen. Dies belegen etwa die Schilderungen Mosche
Ya’akov ben Gavriels (geb. Eugen Hoeflich, 1891–1965) aus dem Jahr 1930:
„Was ich dort sah, war die erschreckende Kehrseite der Romantik Jerusa-
lems. Zehnfach ineinander geschachtelte Höfe und Häuser mit grauenhaften,
fensterlosen Wohnlöchern, eng aneinandergedrängt in Höhlen, die nicht
viel größer als ein großer Tisch sind, hausen vielköpfige Familien von persi-
schen, qurdjischen, tasmanischen und arabisierten Juden, in phantastischem
Schmutz, ohne Licht, ohne Luft, Lastträger und Bettler, arm im absoluten
Begriff des Wortes. Wir gingen durch dunkle Bogengewölbe, dann wieder
durch lichtvolle Höfe, über Stiegen immer tiefer unter das Niveau der Straße,
sahen im Dreck verkommende Kinder, hoffnungslose Greise […].“264
Teddy Kollek verweist in seinen Aufzeichnungen auf die kargen Gegebenheiten
und die primitive medizinische Versorgung, mit der er sich im Zuge zahlreicher
Erkrankungen konfrontiert sah:
„Das heiße Klima des Jordantals und die primitiven Lebensverhältnisse
machten uns die Eingewöhnung sehr schwer. Im ersten Jahr waren wir fast
immer krank. Ich hatte Typhus und Paratyphus, etliche Malaria-Anfälle und
Pappatacifieber. Insgesamt erwischten mich fünfmal auf verschiedenen Ty-
phuserregern basierende, mit Fieber verbundene Krankheiten. Sie wurden
im britischen Regierungshospital mit sehr primitiven Methoden bekämpft,
im Wesentlichen durch Hungerkuren.“265
Bedingt durch die starke jüdische Einwanderung und den Zuwachs der arabi-
schen Bevölkerung war die Gesamtbevölkerung Palästinas, das zur Zeit des bri-
tischen Mandats ein Gebiet von rund 26.300 km² umfasste, von 757.000 im Jahr
1922 auf 1,26 Millionen im Jahr 1936 gewachsen. Der jüdische Anteil stieg von
11 Prozent (84.000) auf 30 Prozent (400.000), wovon mehr als 75 Prozent in den
Städten wohnten. Den im Palästina-Informationsbuch präsentierten Erhebungen
der Statistischen Abteilung der Jewish Agency266 zufolge gestaltete sich die Wirt-
schaftsstruktur des Yishuvs wie folgt: 14 Prozent lebten von der Landwirtschaft,
23,4 Prozent von der Industrie und vom Handwerk, 20 Prozent vom Handel, 12,7
Prozent vom Bauwesen und 6,1 Prozent vom Transport- und Verkehrswesen. Den
freien Berufen gehörten 12,4 Prozent an und 6 Prozent waren Rentnerinnen und
264 Zit. in: Wallas, Erez Israel, S. 50.
265 Kollek, Jerusalem, S. 40.
266 Palästina-Informationsbuch, S. 64–99, hier S. 69.
Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Title
- Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
- Subtitle
- Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Author
- Victoria Kumar
- Publisher
- Studienverlag Ges.m.b.H.
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7065-5419-0
- Size
- 15.6 x 23.4 cm
- Pages
- 216
- Keywords
- Palestine/Israel, Aliyah/Zionism, Jewish history of Austria, National Socialism in Austria, Palästina/Israel, Alijah/Zionismus, Jüdische Geschichte Österreichs, Nationalsozialismus in Österreich
- Categories
- Geschichte Nach 1918