Page - 118 - in Land der Verheißung – Ort der Zuflucht - Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
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20 Prozent der ausgewanderten jüdischen Bevölkerung Deutschlands nach Paläs-
tina – die Haavara stellte für den größten Teil die einzige Fluchtmöglichkeit, für
die jüdischen Organisationen den einzig erfolgreichen Versuch dar, eine geordnete
Auswanderung im Wege der Selbsthilfe durchzuführen.316
Auf jüdischer Seite von Beginn an und trotz aller Erfolge heftig umstritten, wurde
der Nutzen des Transfers auch in den nationalsozialistischen Regierungs- und Par-
teikreisen stets kontrovers diskutiert. Hatte in den ersten Jahren seiner Gültigkeit
die Ansicht dominiert, dass wirksame Auswanderungsmaßnahmen in deutschem
Interesse wären und das Abkommen mit der Jewish Agency deshalb zu unterstützen
wäre, so wurde ab 1935 von verschiedenen Institutionen zusehends Kritik geübt.
Während die Reichsbank erkannte, dass Deutschland für das Vorzeigegeld eigene
Devisen aufwenden musste, durch die Haavara aber kaum Fremdwährung ein-
nahm, befürchtete das Auswärtige Amt durch die Förderung der jüdischen Ein-
wanderung und der jüdischen Wirtschaft in Palästina nicht nur das Aufkommen
eines deutsch-arabischen Interessenkonfliktes317, sondern vor allem die Etablierung
eines jüdischen Nationalstaates
– eine Sorge, die durch den von der britischen „Peel-
Kommission“ vorgeschlagenen Teilungsplan aktuell zu werden schien. Wie bereits
dargelegt, sprach sich u. a. Vicco von Bülow-Schwante, Gesandter des Auswärti-
gen Amtes, dafür aus, „die Zersplitterung des Judentums aufrechtzuerhalten“. Die
„Judenfrage“ könnte für Deutschland nicht allein durch die Auswanderung gelöst
werden, weshalb die Entwicklung in Palästina nicht außer Acht gelassen werden
dürfte. „Denn ein Palästinastaat wird das Judentum nicht absorbieren, sondern
ihm – etwa entsprechend dem Wirkungskreis des Vatikanstaats – eine zusätzliche
völkerrechtliche Machtbasis schaffen, die sich für die deutsche Außenpolitik ver-
hängnisvoll auswirken könnte.“318 Ähnlich, aber in Abweichung von der grundsätz-
lichen Haltung des Sicherheitsdienstes, die jüdische Auswanderung in erster Linie
auf Palästina auszurichten, argumentierten Adolf Eichmann und Herbert Hagen;
sie äußern sich in ihrem Bericht über die Nahostreise vom Herbst 1937 zum Vor-
schlag des jüdischen „V-Mannes“ Feivel Polkes, den Warentransfer zu erhöhen und
damit 50.000 Jüdinnen und Juden jährlich zur Auswanderung nach Palästina zu
bewegen, wie folgt:
„Dieser Plan muss von uns aus zweierlei Gründen verworfen werden: a)
Es liegt nicht in unseren Bestrebungen, das jüdische Kapital im Auslande
unterzubringen, sondern in erste Linie, jüdische Mittellose zur Auswan-
derung zu veranlassen. Da die erwähnte Auswanderung von 50.000 Juden
pro Jahr in der Hauptsache das Judentum in Palästina stärken würde, ist
316 Feilchenfeld, Haavara, S. 12.
317 „Wir haben wenig getan, um die Sympathie, welche die Araber für das neue Deutschland hegen, zu
stärken und zu erhalten, und haben die Gefahr außer Acht gelassen, dass die Araber durch unsere
Mithilfe an dem Aufbau des jüdischen Nationalheims und der jüdischen Wirtschaft zu unseren
Gegnern werden könnten […]“, so der deutsche Generalkonsul Döhle in einem Schreiben an das
Auswärtige Amt im März 1937. Abgedr. in: Vogel, Dokumente, S. 110.
318 Schreiben des AA-Gesandten von Bülow-Schwante vom 22. 6. 1937 an sämtliche Auslandsmissio-
nen. Abgedr. in: Ebda., S. 129.
Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Title
- Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
- Subtitle
- Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Author
- Victoria Kumar
- Publisher
- Studienverlag Ges.m.b.H.
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7065-5419-0
- Size
- 15.6 x 23.4 cm
- Pages
- 216
- Keywords
- Palestine/Israel, Aliyah/Zionism, Jewish history of Austria, National Socialism in Austria, Palästina/Israel, Alijah/Zionismus, Jüdische Geschichte Österreichs, Nationalsozialismus in Österreich
- Categories
- Geschichte Nach 1918