Page - 120 - in Land der Verheißung – Ort der Zuflucht - Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
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kunftsland aufgebracht werden.320 Hilfszahlungen für Palästina-Wanderinnen und
-Wanderer konnte die Wiener Kultusgemeinde, wenn auch in äußerst bescheidenem
Umfang, im Sommer 1938 erwirken: Nach Verhandlungen mit Eichmann und der
Devisenstelle Wien sowie in Einverständnis mit dem „Joint“, dem „Central British
Fund“ und der Jewish Agency wurde beschlossen, 50 Prozent der von ausländischen
Hilfskomitees zur Verfügung gestellten Fremdwährungsmittel für die Sicherung von
„Kapitalisten“-Zertifikaten für die Einreise nach Palästina, die übrigen 50 Prozent
für Landungsgelder anderer Staaten zu verwenden.321 Die Hälfte des monatlichen
Deviseneinkommens ermöglichte die Sicherung von 10 „Kapitalisten“-Zertifika-
ten, wobei der Kurs an die Vermögensverhältnisse der vom Palästina-Amt und der
Jewish Agency ausgewählten Bewerberinnen und Bewerber und an die Bedürfnisse
der Gemeinde angepasst wurde.322 Die Bestimmungen wurden von den „Auswan-
derungswilligen“ allerdings mehrheitlich abgelehnt. Beschwerden erreichten die
Kultusgemeinde nicht nur angesichts des uneinheitlichen Kurses und der Bevor-
zugung des Ziellandes Palästina; Protest rief insbesondere das Auswahlverfahren
hervor, bei welchem pro Monat hunderte Bewerber um ca. 10 Zertifikate kämpften.
Profitieren konnte von der Devisenregelung demnach nur eine sehr geringe Anzahl
der österreichischen Palästina-Immigrantinnen und -Immigranten, alle anderen
mussten mittellos einwandern.
Obgleich die Genehmigung für einen Transfer von Besitz und Vermögen, das
über die LP 1.000,– hinausging, nicht erwirkt werden konnte und Palästina neben
grundsätzlichen Bedenken vor allem wirtschaftlich unattraktiv wirkte, waren
wenige Wochen nach dem „Anschluss“ mehrere Initiativen entstanden, die sich
speziell mit der Überführung von Industrien und kollektiven Siedlungsmöglich-
keiten befassten. Für den geplanten Transfer von typischen Wiener Industrien regte
Arthur Ruppin von der Jewish Agency die Einsetzung einer Kommission an, die
die Erfolgschancen der einzelnen Industriezweige ermitteln und Subventionen
oder Kredite für die Unternehmungen beschaffen sollte.323 Georg Landauer von
der „Deutschen Abteilung“ blieb aufgrund der in Österreich gültigen totalen Trans-
fersperre zwar skeptisch, ein aus Vertreterinnen und Vertretern der Abteilung für
Handel und Industrie und des „Economic Research Institutes“ (beide der Jewish
Agency zugehörig) gebildetes Komitee wurde im Juli 1938 dennoch eingerichtet.
Eines der ersten geprüften Projekte war jenes der Wiener „Geschmacksindustrien“,
zu welchen u. a. qualitativ hochwertige Strickerei, Zweige der Damenkonfektion und
Lederwarenherstellung zählten. Dem Bericht zufolge hätte die Kommission zwar
noch gewisse Hoffnungen gehegt, in Bezug auf die Haavara zu einer Gleichstellung
320 Anderl, Emigration, S. 205.
321 Aktennotiz vermutlich der Devisenstelle Wien, 3. 1. 1939. Archiv der IKG Wien/Bestand Wien/A/
VIE/IKG/II/AUS/14/3.
322 Wohlhabende Jüdinnen und Juden zahlten zu Beginn den doppelten Kurs, infolge der zunehmen-
den finanziellen Notlage der Kultusgemeinde das Dreifache des offiziellen Kurses, der von weniger
bemittelten Personen verlangt wurde. Unbemittelten Jüdinnen und Juden wurden die Devisen
ohne Gegenwert überlassen. Vgl. Charles J. Kapralik, Erinnerungen eines Beamten der Wiener
IKG 1938–39. In: Bulletin des Leo Baeck Institutes 58 (1981) S. 64.
323 Arthur Ruppin an Georg Landauer, 22. 5. 1938. CZA, S7/722, S. 122.
Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Title
- Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
- Subtitle
- Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Author
- Victoria Kumar
- Publisher
- Studienverlag Ges.m.b.H.
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7065-5419-0
- Size
- 15.6 x 23.4 cm
- Pages
- 216
- Keywords
- Palestine/Israel, Aliyah/Zionism, Jewish history of Austria, National Socialism in Austria, Palästina/Israel, Alijah/Zionismus, Jüdische Geschichte Österreichs, Nationalsozialismus in Österreich
- Categories
- Geschichte Nach 1918