Page - 123 - in Land der Verheißung – Ort der Zuflucht - Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
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zusammengefasst werden, „die trotz wahrscheinlich ursprünglicher materieller
Ungleichheit bereit sind, auch in dieser Beziehung ein gemeinsames Schicksal hier
im Lande und gleiche materielle Bedingungen zu tragen.“330 Im Zuge seiner Erkun-
dungen über geeignete Siedlungskandidatinnen und -kandidaten sprach sich auch
der Palästina-Emissär Marduk Schattner nach Unterredung mit Vertretern aus Graz
zustimmend aus:
„Der ernsteste Ansatz scheint mir die Gruppe in Graz zu sein. Es besteht
dort ein sehr starker Auswanderungswille und wie mir scheint, wird sich
unter den ca. 200 Anmeldungen, die dort vorliegen, eine größere Anzahl von
Familien vorfinden, die ihrer allgemeinen Eignung nach für eine Siedlung
in Frage kommen. Als Beweis für die Ernsthaftigkeit der Absicht mag auch
die Tatsache dienen, dass ca. 100 Personen in der einen oder anderen Form
(Gartenbau, Geflügelzucht etc.) seit Wochen in Hachscharah in Graz und
Umgebung sind, Hebräisch lernen usw. Es gibt überhaupt eine Reihe von
Familien darunter, die auf dem Lande leben und eine gewisse Kenntnis der
Landwirtschaft mitbringen.“331
Vertreten durch die Kanzlei der Wiener Rechtsanwälte Hugo Weber und Erich Raja-
kowitsch wurde das Auswanderungsprojekt im Herbst 1938 an die Exportabteilung
des Reichswirtschaftsministeriums herangetragen. Abgesehen vom Umfang der zu
exportierenden Waren, über den noch zu diskutieren wäre, erfolgte angeblich eine
inoffizielle Zusage des federführenden Referenten, die die Auswanderungsstelle der
IKG Graz an die „Rassco“ weiterleitete. Dieses Schreiben enthält zudem detaillierte
Informationen zu Größenordnung und Zusammensetzung des Transfers: Nach Ver-
handlungen mit der Devisenstelle Wien würde ein Einkauf von Waren im Wert von
RM 3,000.000,–332 (zuzüglich 10 Prozent des Warenvolumens zahlbar in effektiven
Devisen) in Frage kommen, wobei der Großteil in Papierwaren und ein geringe-
rer Teil in Metallwaren investiert werden sollte. Unter den Teilnehmenden, deren
Anzahl sich bis Mitte Oktober auf ca. 800 Personen aus 245 Familien vergrößert
hatte, befanden sich zahlreiche wohlhabende Jüdinnen und Juden, die sich dazu
verpflichtet hatten, ihre Kapitalien langfristig zu binden. Da nicht alle vorgemerkten
Familien mit dem ersten Transfer angesiedelt werden könnten, sollte zunächst eine
Pioniergruppe von 50 bis 60 Personen auswandern und beim Aufbau der ersten
Siedlung mitarbeiten. Zur Niederlassung würden die Orte Raanana und Kadima,
beide unweit von Tel Aviv gelegen, in Frage kommen.
„Unter Berücksichtigung der Lage der sich für die Auswanderung vorbe-
reitenden Familien, welche zumeist zu bestimmten Terminen das Land zu
330 Georg Landauer an IKG Graz, 18. 7. 1938. Ebda.
331 Marduk Schattner an Förder, 23. 8. 1938. Ebda.
332 Wie aus einem späteren Schreiben hervorgeht, stand der Gruppe ursprünglich ein Reichsmarkbe-
trag von 6 Millionen zur Verfügung. Diese Summe hätte sich infolge der Abgaben auf 3 Millionen
Reichsmark vermindert, wodurch auf eine Familie durchschnittlich RM 30.000,– entfallen würde.
Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Title
- Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
- Subtitle
- Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Author
- Victoria Kumar
- Publisher
- Studienverlag Ges.m.b.H.
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7065-5419-0
- Size
- 15.6 x 23.4 cm
- Pages
- 216
- Keywords
- Palestine/Israel, Aliyah/Zionism, Jewish history of Austria, National Socialism in Austria, Palästina/Israel, Alijah/Zionismus, Jüdische Geschichte Österreichs, Nationalsozialismus in Österreich
- Categories
- Geschichte Nach 1918