Page - 130 - in Land der Verheißung – Ort der Zuflucht - Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
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Isolierung auch körperliche Übergriffe und Inhaftierungen als „wirksame“ Mittel
zur Forcierung der jüdischen Abwanderung herangezogen. Ein vereinfachtes und
„rationalisiertes“ bürokratisches Verfahren, mit dem sich die Zwangsauswanderung
innerhalb kürzester Zeit umsetzen ließ, wurde im August 1938 mit der Errichtung
der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ in Wien gefunden: Wie nachfolgend
beschrieben wird, sollte die Konzentration aller mit der Auswanderung befassten
Ämter in einer Stelle eine rasche und effiziente Abschiebung und den Vertreibungs-
und Beraubungsvorgang im „Fließband-Verfahren“ ermöglichen.354 Abgesehen
von der staatlichen Verfolgung und Beraubung partizipierten auch weite Teile der
nichtjüdischen Bevölkerung an den antijüdischen Maßnahmen. Die Beteiligung,
die neben der reinen Beutegier auf einem bodenständigen Antisemitismus fußte,
beschreibt Hans Safrian als Wiener Variante des „Enrichissez-Vous“
– die Grenzen
zwischen amtlichem und privatem Terror wären fließend, die Unterschiede unwe-
sentlich gewesen.355
Die Wiener Kultusgemeinde und das Palästina-Amt nach dem
„Anschluss“
Den Auftakt zur antijüdischen Politik bildete die „Köpfung der Kultusgemeinde“
(Rabinovici)356: Durch die Schließung sämtlicher jüdischer und zionistischer Insti-
tutionen und die Inhaftierung führender Persönlichkeiten der jüdischen Gemein-
schaft sollte die Interessenvertretung der österreichischen Jüdinnen und Juden
vollständig lahmgelegt und die Kooperation bei der Erreichung der nationalsozi-
alistischen Ziele erzwungen werden. Unter den unmittelbar nach dem Einmarsch
deutscher Truppen geschlossenen Ämtern bzw. aufgelösten Organisationen befan-
den sich der „Zionistische Landesverband für Österreich“, der „Keren Kajemeth
Lejisrael“ (KKL), der „Keren Hajessod“ (KH), sowie das Palästina-Amt. Verwüstet
und geplündert wurden in der Folge auch die Räumlichkeiten der Kultusgemeinde,
geschlossen wurde das Büro am 18.
März 1938. Eichmann, der zur Errichtung einer
Außenstelle der Abteilung II-112 nach Wien geschickt worden war, hatte persönlich
an der Razzia teilgenommen und ließ am selben Tag Verhaftungen nach bereits vor-
bereiteten Listen durchführen. Festgenommen wurden alle leitenden Funktionäre
der Kultusgemeinde, darunter Kultuspräsident Desider Friedmann (1880−1944),
die Vizepräsidenten Robert Stricker (1879−1944) und Jakob Ehrlich (1877−1938)
sowie Amtsdirektor Josef Löwenherz (1884−1960), darüber hinaus Repräsentan-
ten anderer Organisationen, wie Oskar Grünbaum, Präsident des „Zionistischen
Landesverbandes für Österreich“, und Hermann Oppenheim, Präsident der „Union
Österreichischer Juden“, sowie zahlreiche Gemeindebeamte.357 Am 1. April wurde
354 Anderl, Emigration, S. 178 f.
355 Safrian, Eichmann-Männer, S. 29 f.
356 Rabinovici, Instanzen, S. 69–79.
357 Rosenkranz, Verfolgung, S. 34.
Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Title
- Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
- Subtitle
- Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Author
- Victoria Kumar
- Publisher
- Studienverlag Ges.m.b.H.
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7065-5419-0
- Size
- 15.6 x 23.4 cm
- Pages
- 216
- Keywords
- Palestine/Israel, Aliyah/Zionism, Jewish history of Austria, National Socialism in Austria, Palästina/Israel, Alijah/Zionismus, Jüdische Geschichte Österreichs, Nationalsozialismus in Österreich
- Categories
- Geschichte Nach 1918