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p e st se u ch e n.
führte ganze Wagen voll Todte bey Tag und Nacht zu allen Thoren
hinaus und warf diese zu Tausenden in große, zu diesem Zwecke gegra-
bene Gruben, ^n Scharen liefen die Kinder heulend den Wagennach, auf
welchen ihre Altern hinausgeführt wurden und die Zahl dieser verlasse-
nen Waisen mehrte sich so sehr, daß der Stadtrath ganze Wagen voll
dieser armen Geschöpfe aufs Land führen und dort auf öffentliche Kosten
verpflegen ließ. Da dcr Arzte und Wundärzte immer weniger wurden,
auch sich natürlich nicht gerne freywillig in Todesgefahr begeben wollten,
so mußte man mehrere gefesselt in die Spitaler führen und endlich Ver-
brecher zum Lazarethdienst verwenden, da sich das Übel so contagiös
zeigte, daß sich die nächsten Nachbarn, ja Verwandten scheuten, sich zu
berühren oder mit einander umzugehen. Stadt und Vorstädte, Straßen,
und Plätze, Pasteyen, Gärten und Weingärten wimmelten von Kran-
ken und Sterbenden. Bey dieser allgemeinen Noth zeichnete sich beson/
ders der wackere Fürst F e r d. W i l h. von Schwarzenberg
aus, welcher täglich Vormittags und Nachmittags auf den Gassen und
Plätzen herumritt, alles mit eigenen Augen leitete und sowohl durch
reichliche Beysteuer, als auch durch nothige Maßregeln der Strenge das
große allgemeine Elend zu lindern suchte. Im November trat eine scharfe
Kälte ein und die Pest ließ schon etwas nach. Im December endlich wurde
die Luft noch kälter und reiner und das Übel verlor sich gänzlich. Nun
fanden sich auch wieder von allen Seiten betriebsame Menschen in Wien
ein, welche die Verstorbenen zu ersetzen begannen und am Weihnachts-
tage wurden allein bey S t . S teph a n 95 Paare getraut. Die Zahl der
in diesem Jahre nur in der Stadt allein von der furchtbaren Seuche
dahin Gerafften wird auf folgende angegeben: Im Jänner 410, im
Februar 359, im März 3,797, im April 4,963, im May 5,727, im
Iuny 6,557, im Iuly 7,507, im August.4,517, im Sept. 6,774,
im Oct. 6,475, im November 2,400, also zusammen 49,436. Sammt den
Vorstädten aber soll die Zahl ihrer Opfer 122,849 betragen haben,
welche in 77 eigens dazu aufgeworfenen Gruben von großem Umfange,
deren manche 4—5000 Todte faßte, begraben wurden. Gleich verhee-
rend hatte die Seuche auch in den nahen Umgebungen W ie ns, weni-
ger in den entfernteren und in den Provinzen gewüthet. <— 1691
herrschte neuerdings eine ansteckende Seuche in W i e n , es starben je-
doch nur 36 Personen daran. Die letzte große Pest zu Wien und
den Umgegenden entstand Anfangs 1713, sie war aus der Türkcy nach
Ungarn gekommen und von da durch eine arme Weibsperson in
Wien eingeschleppt worden. Vorzüglich wüthete sie in den Vorstädten,
verschonte aber auch die Stadt nicht und verbreitete sich bald über alle
benachbarte Ortschaften. Nebst den öffentlichen Andachtsübungen ge-
brauchte man dießmahl durch die Vorsorge des Kaisers Car l VI . , der
fortwährend in Wien blieb, bessere Vorsicht und Rettungsmittel und
die Seuche wurde daher minder verderblich, als jene von 1679. Mir
dem Eintritt der kälteren Jahreszeit ließ die Seuche nach, verschwand aber
erst im Februar 1714 gänzlich.Der an diesem Übel in derStadt und dsnVor-
stadten Dahingerafften zählte man 3,644. In den nahegelegenen Ortschaf-
ten Döb l i ng , Dornbach, S ieve r i ng , Sa lmansdo r f ,
Österreichische National-Enzyklopädie
Buchstabe N-Sed, Volume 4
- Title
- Österreichische National-Enzyklopädie
- Subtitle
- Buchstabe N-Sed
- Volume
- 4
- Authors
- Franz Gräffer
- Johann Czikann
- Publisher
- H. Strauß
- Location
- Wien
- Date
- 1835
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.3 x 22.0 cm
- Pages
- 660
- Keywords
- Nachschlagewerk, Biografien
- Categories
- Lexika National-Enzyklopädie