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2 TheoretischeEinbettung
2.1 Geschichtspolitik,Gedächtnistheorieund ‚Europäisierung
derErinnerung‘
ImFolgendenwirddieEntwicklungder ‚EuropäisierungderErinnerung‘aufpoli-
tischemGebietmitderEntstehungunddemWandelderKonzepte ‚Geschichtspo-
litik‘und ‚Gedächtnistheorie‘ in derwissenschaftlichen Literatur verknüpft. Seit
Ende der 1980er Jahre dermemory boom eingesetzt hat, gerät leicht aus dem
Blick,dassdieserFokusaufErinnerungundGedenkennichtquasi ‚immerschon‘
gegebenwar. So verfolgten die Europäische Union bzw. ihre Vorläufer keines-
wegsvonAnfanganeinegeschichtspolitischeAgenda.Bis indie1970er Jahre lag
derFokuseindeutigaufderAusrichtungaufdiegemeinsameZukunftunderst in
den 1980ern begannman, sich auf das europäische historische Erbe zu ‚besin-
nen‘.DochwarhierzunächsteinausschließlichpositivesErbegemeint–dieAk-
ropolis in Athen wurde etwa als erstes europäisches Kulturerbe gefördert und
1985 symbolträchtig zumSchauplatz der Vorstellung der InitiativeKulturhaupt-
stadtEuropasgemacht. (Calligaro2015, 336)Wennheutevielfachvonder inden
1990er Jahren einsetzenden „Europäisierung des Holocaust“20 die Rede ist, so
lässtdiesaußerAcht,dass 1993dieerstediesbezüglicheMaßnahmeaufeuropäi-
scher Ebene (die vom Europäischen Parlament verabschiedete „Entschließung
zumeuropäischenund internationalenSchutzderStättendervondenNational-
sozialisten errichteten Konzentrationslager als historische Mahnmale“) die NS-
Lager imAllgemeinen betraf und dasWort ‚Holocaust‘noch gar nicht enthielt.
(Kucia2016,102)
IndieseZeit fallenauchdie erstenGründungstextedessen,waswirheuteals
‚Gedächtnistheorie‘ einerseits undals ‚Geschichtspolitik‘ andererseits bezeichnen.
DieBegriffe ‚Erinnerungskultur‘, ‚kulturellesGedächtnis‘, ‚Geschichts-undVergan-
genheitspolitik‘ versuchten denEnde der 1980er undAnfang der 1990er sich ab-
zeichnendenmemory boom21 einzufangen, der durch die ‚Universalisierung des
20Währendbereits vor den 1990er JahrenMomentewieder Eichmann-Prozess 1961 oderdie
Ausstrahlungder amerikanischenFernsehserieHolocaust 1978/1979ausgemachtwerdenkön-
nen, indenensich länderübergreifendeAuseinandersetzungenmitdemHolocaust intensivier-
ten, folgten die nationalenDiskussionen dochmehrheitlich eigenenRhythmen, „die von der
Rolle des jeweiligen Landes im ZweitenWeltkrieg ebenso bestimmtwarenwie von aktuellen
politischenEreignissen.“ (EckelundMoisel2008,13)
21 PierreNora spricht etwa von einerweltweitenKonjunktur desGedächtnisses, einerÄra des
leidenschaftlichen,konfliktbeladenen, fastzwanghaftenGedenkens. (Nora2002)Dassoll jedoch
nicht bedeuten,dassdiese„concentrationof interest in the last thirty years“nicht auf langfris-
OpenAccess.©2021LjiljanaRadonić,publiziertvonDeGruyter. DiesesWerk ist lizensiert
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https://doi.org/10.1515/9783110722055-002
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Title
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Subtitle
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Author
- Ljiljana Radonić
- Publisher
- DE GRUYTER
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 338
- Keywords
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918