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Holocaust‘unddenZusammenbruchdes ‚Ostblocks‘weiter befeuertwurde. 1988
hatte Jan Assmann unter Rückgriff auf Maurice Halbwachs’ Studie aus 1925 das
‚kollektiveGedächtnis‘ indas ‚kommunikative‘unddas ‚kulturelleGedächtnis‘un-
terteilt22 und damit die Gedächtnistheorie im deutschen Sprachraum begründet,
der bis heute die Arbeiten von Jan und Aleida Assmann zugrundeliegen. Schon
Halbwachs hatte betont, Erinnerungen seien nie „authentisch“, sondern auf die
Bedürfnisse der Gegenwart zugeschnitten: Das kollektive Gedächtnis „bewahrt
nichtdieVergangenheitauf,sondernesrekonstruiertsiemitHilfemateriellerSpu-
ren,Riten,TexteundTraditionenundmitHilfevonneuerlichenpsychischenund
sozialenGegebenheiten,dasheißtmitderGegenwart.“ (Halbwachs1985,296)
UngefährzurselbenZeitwurdeimwestdeutschen,Historikerstreit‘–1986aus-
gelöstdurchTextevonErnstNolte,AndreasHillgruberundMichaelStürmersowie
dieReplikvonJürgenHabermas–dasWort ‚Geschichtspolitik‘zunächstalspoliti-
scher Kampfbegriff und u.a. von den beiden Politikwissenschaftlern Peter Stein-
bachundPeterReichelbaldauchalswissenschaftlichesKonzeptgeprägt. (Troebst
2013, 15)WährendAssmann„dienegativenFormeneinesVergessensdurchAusla-
gerung,VerdrängendurchManipulation,Zensur,Vernichtung,Umschreibungund
Ersetzung“ (J.Assmann1988, 23) indiesemkulturwissenschaftlichenKonzeptnur
in einem Satz erwähnte, lag der Fokus bei dem politik- und geschichtswissen-
schaftlichenKonzeptvon ‚Geschichtspolitik‘vonAnfanganaufDeutungskämpfen:
Geschichtspolitik ist ein Handlungs- und Politikfeld, auf dem verschiedene Akteure Ge-
schichtemit ihrenspezifischenInteressenbefrachtenundpolitischzunutzensuchen.Sie
zielt auf dieÖffentlichkeit und trachtet nach legitimierenden,mobilisierenden, politisie-
renden, skandalisierenden, diffamierendenu.a.Wirkungen inder politischenAuseinan-
dersetzung. (Wolfrum1999,24f)
Der Begriff ‚Vergangenheitspolitik‘ schloss bei seiner ursprünglichen, engen Be-
deutungdieAnalysevonIdentitätsstiftungzunächstnichtein:ImSinneeiner„jus-
tiziellen Vergangenheitsbewältigung“ führte ihn 1994 der Politikwissenschaftler
ClausOffe inBezugaufden„NeuenOsten“ein (Offe 1994, 187),währenderbeim
Historiker Norbert Frei 1996mit einer anderenKonnotation erstmals auftauchte,
nämlich als kritischer Ersatzbegriff für eine nicht praktizierte Vergangenheitsbe-
wältigunginderAdenauer-ZeitderBRD.DerPolitikwissenschaftlerGüntherSand-
tige Entwicklungen aufbaute, wie die AutorInnen des CollectiveMemory Readers anhand von
Grundlagentextenherausarbeiten. (Olick,Vinitzky-SeroussiundLevy2011,5)
22 Darunter fasstAssmann„den jederGesellschaftund jederEpocheeigentümlichenBestand
anWiedergebrauchs-Texten, -Bildernund-Ritenzusammen, inderen ‚Pflege‘sie ihrSelbstbild
stabilisiert undvermittelt, einkollektivgeteiltesWissen, vorzugsweise (abernicht ausschließ-
lich) über die Vergangenheit, auf das eine Gruppe ihr Bewusstsein von Einheit und Eigenart
stützt.“ (J.Assmann1988,15)
18 2 TheoretischeEinbettung
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Title
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Subtitle
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Author
- Ljiljana Radonić
- Publisher
- DE GRUYTER
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 338
- Keywords
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918