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ner plädierte später in seinem zum Standardtext avancierten Beitrag über Ge-
schichts-undVergangenheitspolitikdafür,
alsVergangenheitspolitik denpolitischen, justiziellenundkulturellenUmgang einer de-
mokratischenGesellschaftmit ihrer diktatorischenVergangenheit zu bezeichnen–ohne
dabei symbolische Politikformen oder Diskurspolitik auszuschließen. Geschichtspolitik
kanndarüberhinaus–quasialsÜberbegriff–diepolitischeInstrumentalisierungvonGe-
schichte, dieMotiveundModalitäten ihrerKonstruktion, die Funktion ihrerPräsenzund
politischenVirulenz inderGegenwart ineinemwesentlichumfassenderenSinnebezeich-
nen.GeschichtspolitikundVergangenheitspolitik sind folglichnicht komplementär, son-
dernstehenineinemhierarchischenVerhältniszueinander. (Sandner2001,7)
Doch letztlichsetzte sich imdeutschenSprachraumderBegriffderGeschichtspo-
litik sowohl für den Umgangmit einer bestimmten Vergangenheit wiemit Ge-
schichte imumfassenderenSinndurch(Schmid2009,69)undauchimEnglischen
trete StefanTroebst zufolgepolitics of historydenSiegeszugan. (Troebst 2013, 16)
„Geschichtspolitik sollen jene Diskurse und Handlungen heißen, mit denen die
DeutungvonGeschichtealsgegenwärtigeöffentlicheRepräsentationeinerkollek-
tiv relevantenVergangenheit zupolitischenZweckenbetriebenwird.“ (Schmid
2008a, 78) Ihre Grundfunktionen seien „die Schaffung einer Tradition, die
Prägungeinerkollektiven IdentitätunddieGenerierungpolitisch-historischer
Legitimität.“ (Schmid2008a,78)GeschichtspolitischeAnsätzeverstehendenUm-
gangmit Geschichte vor demHintergrundder Bedürfnisse der Gegenwart, denn
verschiedeneGruppenhabennicht nur abweichende, sondernmiteinander kon-
kurrierendeErinnerungen:
Der politischebeziehungsweise gesellschaftlicheKonflikt besteht jedochnicht inder ‚lo-
gischen‘ oder ‚natürlichen‘Widersprüchlichkeit der Bilder und Gedächtnisse, sondern
eherdarin,dassdieeinzelnen,gruppenspezifischen […] FormendeskollektivenGedächt-
nissessichalsdieGeschichte inszenierenundpräsentieren, […]wasnotwendigerweisezu
symbolischerundpolitischerMarginalisierungundAusdrängungvonanderenErinnerun-
genundGedächtnissenführt. (Niedermüller2004,16)
Der Politikwissenschaftler Helmut König betont, „dass das Gedächtnis in der
Politik seit jeher ein heftig umkämpftes Terrain ist, zu dessen Eroberung und
Besetzung von denAkteuren eine ganze Fülle von Strategien entwickelt wird.
ZurAnalysepolitischerSystemeundpolitischenHandelnsgehörtdeswegendie
Gedächtnisdimension unabdingbar hinzu.“ (König 2008, 14) In der politikwis-
senschaftlichen Auseinandersetzung mit Geschichtspolitik liegt die Betonung
tendenziell weniger als in der Geschichtswissenschaft auf der Geschichte,mit
derPolitik gemachtwird, als vielmehraufdenDiskursenundderPolitik selbst
sowiedenrelevantennationalenundtransnationalenAkteurInnen.
2.1 Geschichtspolitik,Gedächtnistheorieund ‚EuropäisierungderErinnerung‘ 19
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Title
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Subtitle
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Author
- Ljiljana Radonić
- Publisher
- DE GRUYTER
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 338
- Keywords
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918