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trischweitere sechs, zunehmend strittigeKreise europäischer Erinnerung, teils in
Assimilationanden,teils inDistanzoderIndifferenzgegenüberdemKern“ (Legge-
wieundLang2011, 12),wobei dieErinnerungandenGulagunddie sowjetischen
VerbrechendenzweitenKreisbildet.Erwarntallerdingsvor„grobschlächtigenVa-
riantenderTotalitarismustheseundfordert,„das ‚Singuläre‘amZivilisationsbruch
der industriell-bürokratischenVernichtung der europäischen Judenherauszustel-
len,ohnediesystematischeAusrottungder ‚Klassen-undVolksfeinde‘ imsowjeti-
schenMachtbereichherunterzuspielen.“ (LeggewieundLang2011,25)
Anlässlichdes60. JahrestagsdesKriegsendeswurdenaufEU-Ebenedie letz-
tenDeklarationenverabschiedet, dienochalsungebrochenerAusdruckder ‚Eu-
ropäisierungdesHolocaust‘ gedeutetwerdenkönnen. Diewichtigste von ihnen
war die „Entschließung des Europäischen Parlaments zumGedenken an den
Holocaust sowie zuAntisemitismusundRassismus“, die den „27. Januar in der
gesamtenEuropäischenUnion zumEuropäischenHolocaustgedenktag“ erklärte
unddieHolocaust-ErinnerungmitderBekämpfungdesheutigenRassismusund
Antisemitismus verknüpfte. (Europäisches Parlament 2005) Auch wenn dieser
Fokus auf denHolocaust niemals unwidersprochenwar,wurdenbei den Feier-
lichkeiten zum9.Mai 2005 inMoskaudoch erstmals dieGräbenunübersehbar:
StefanTroebstzufolgestandensichhier
daspostsowjetischeRusslandaufder einenSeiteundetlichemittlerweile zurEUgehö-
rigen ehemaligen Satelliten bzw. Republiken der UdSSR, zuvörderst Polen, Litauen,
LettlandundEstland,aufderanderengegenüber–beideutlicherParteinahmederUSA
für die ostmitteleuropäische Sicht auf die Geschichte sowie bei vorsichtiger Unterstüt-
zungDeutschlands für die russländische Interpretation. AusMoskauer Sicht […] steht
der 9. Mai für den „Sieg über den Faschismus“ und für die „Befreiung Europas“. Aus
ostmitteleuropäischer,hiervorallempolnischerPerspektive indes fälltdieZurückdrän-
gungder deutschenBesatzungsmacht durchdieRoteArmee imSommer 1944mit dem
Imstichlassen derWarschauer Aufständischen, der Errichtung einer kommunistischen
Diktaturunter sowjetischemKuratel sowieschließlichmitdem„Verrat“deranglo-ame-
rikanischenVerbündetenPolens imFebruar1945 in Jaltazusammen. (Troebst2006,24)
Damit scheint auf der Ebeneder EP-ResolutioneneineErwähnungdesHolocaust
ohnegleichzeitigenVerweisaufsowjetischeVerbrechennichtmehrmöglich,denn
inder „EuropeanParliament resolutionon the60th anniversary of the endof the
SecondWorldWar inEuropeon8May1945“wirdhervorgehoben,dass„for some
nations the endofWorldWar IImeant renewed tyranny inflictedby theStalinist
SovietUnion“ (Kucia2016,106).Es folgen2008die„Erklärungdes23.Augustzum
Europäischen Tag des Gedenkens an die Opfer von Stalinismus und Nazismus“
und2009die„EntschließungdesEuropäischenParlamentszumGewissenEuropas
und zumTotalitarismus“, derenNamenbereits einenklarenHinweis auf die ver-
ändertenBegrifflichkeitennachdergroßenEU-Osterweiterung2004geben.
2.3 Die ‚Osterweiterung‘derEuropäisierungderErinnerung 27
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Title
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Subtitle
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Author
- Ljiljana Radonić
- Publisher
- DE GRUYTER
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 338
- Keywords
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918