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Gründen zum Opfer wurde als WiderstandskämpferInnen. Die TäterInnen der
verschiedenen jugoslawischen Nationen wurden in Zeitungsberichten von der
Gedenkveranstaltung immer zusammen als „Ustaša,Četnici undWeißgardis-
ten“42 (Vjesnik, 22.4.1985) genannt, das kroatische Kollaborationsregime also
mit anderenTäterInnen auf eine Stufe gestellt. DieOpferwerden indenGuides
als „Angehörige all unserer Völker aus allen Teilen Jugoslawiens“ (Trivunčić
1974, 35), „unsereLeute, Frauen,KinderundAlte“, Opfer „jedenAlters, jeder
Nationalität und Religionszugehörigkeit“ (Babić 1966, 6) und in der Gedenk-
veranstaltung1987als„Serben, Juden,Roma,Kroaten,Moslems,Slowenen,Mon-
tenegrinerundandereVölkerundEthnien“ (Vjesnik, 20.4.1987) bezeichnet, eben
ohnezwischenOpfern rassistischerVerfolgungundWiderstandskämpferInnenzu
unterscheiden.
ImGuidevon 1974, einemvonsieben,die ichausdieserÄraanalysiert habe,
wurdeerstmalspräzisiert:„MenschenwurdeninsLagergebracht,nurweil siesich
in ihremGlaubenoder ihrer ‚Rasse‘ von ihrenPeinigernunterschieden, oderweil
esauchnurdengeringstenVerdachtgab,dasssiemitderUstaša-Schreckensherr-
schaftnichteinverstandenwaren.“ (Trivunčić1974,35)Interessantist,dassdieein-
zigen Opfer, die konkret benannt wurden, die „Zigeuner-Roma“ (Trivunčić 1974,
28)waren.Dieswirkte fürdasgeschichtspolitischeNarrativoffenbarnichtbedroh-
lich, da es keineAuswirkungen auf das kroatisch-serbische Spannungsverhältnis
hatte. 1977 wurde dann behauptet, in Jasenovac hätten „die Ustaša gleicherma-
ßen43SerbenundKroatenzuZehntausendenvernichtet.“ (Lončar 1977, 8)Die
großeVerschleppungs- undVernichtungsaktion gegendie serbischeBevölke-
rungdesKozara-GebirgesbeschreibtLončarauffälligverschleierndals„Umkom-
mendesKozara-Volkes“ (Lončar 1977, 7), ohne serbischeOpfer zubenennen.Es
sei in Jasenovac „primär“umdieAbrechnungmit politischenGegnerInnendes
Faschismusgegangen;dassdieLagereinOrtder„VernichtungzwischenNatio-
nalitäten“44waren, sei„sekundär“gewesen. (Lončar 1977,9)Erst imGuidevon
1981war dannvonder EntscheidungdieRede, „alle Serben, JudenundZigeu-
nerzuvernichtensowiezugleichalleKroaten,dieauf irgendeineWeise ihrean-
tifaschistischeEinstellungzumAusdruckbrachten.“ (Jokić1981,5)Bereits inder
erstenPhase des Lagers seien „rund 40.000“ (Jokić 1981, 10) „Roma-Zigeuner“
42 DieÜbersetzungenausdemKroatischenstammenvonderAutorin.
43 Bis heute identifizierte die Gedenkstätte über 47.000 serbische Jasenovac-Opfer nament-
lich, davonüber 12.000Kinder, sowie über 4.000 kroatischeOpfer, davon 140Kinder (www.
jusp-jasenovac.hr/Default.aspx?sid=6711),das„gleichermaßen“erfülltalsoeinestark ideologi-
scheFunktion.
44 DieseFormulierung istkeineschlechteÜbersetzung,sondernauch imOriginal (mjestame-
đunacionalnoguništenja)merkwürdigundsomitAusdruckderProblematik.
4.1 Vor1989:DieMuseenindersozialistischenÄra 59
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Title
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Subtitle
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Author
- Ljiljana Radonić
- Publisher
- DE GRUYTER
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 338
- Keywords
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918