Page - 71 - in Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen - Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
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(Radonić 2010), der mit den Jugoslawienkriegen einherging, kommt hier erst-
mals eine ‚Leichenberge-Pädagogik‘ zumEinsatz.Als obdasgrößteTodeslager
der Ustaša nicht verbrecherisch genug gewesenwäre, werden die kroatischen
Ustaša in dieser Phase imSinnederMobilmachungdes serbischenNationalis-
musdämonisiert: 1986dominierenunterden53Fotos jeneabgetrennterKöpfe,
aufgedunsenerWasserleichen, ermordeter Kinder und vonLeichen inMassen-
gräbern. (Lukić 1986) EineAufnahmezeigt einenMann, dessenKopf hinunter-
gedrückt wird und den „Ustaša aus Jasenovac mit einem Beil töten.“ (Lukić
1986,17)DasFotohatabernichtsmit Jasenovaczutun,sondernzeigtvonDeut-
schenbegangeneVerbrechenanSlowenen. (Mataušić2008,72–74)
Auch inder zweiten ständigen Jasenovac-Ausstellung,welche 1988dieDau-
erausstellung von 1968 ablöste, beherrschte nun ein Fries den Raum, auf dem
ausschließlich großformatige Fotos von Folter undmassakriertenmenschlichen
Körpernzusehenwaren, vondenendiemeistennicht in Jasenovacaufgenommen
wurden. Auch die von Antun Miletić, dem leitenden Archivar des Militärhistori-
schen Instituts inBelgrad,unddemMuseologenDragojeLukićkuratierteWander-
ausstellung, die ab 1986 drei Jahre lang durch Jugoslawien tourte, „overwhelmed
the audience with graphic portrayals of violence.“ (Byford 2020, 109) Sie setzte
ebenfalls starkaufHorrorbilder,dieauch indiesemFallwenigBezugzuJasenovac
aufwiesen.Die langjährigeDirektorindespostsozialistischenJasenovac-Gedenkmu-
seums, Nataša Jovičić, wies später kritisch darauf hin, dass die Ausstellung auch
Soldatender JugoslawischenVolksarmeevorgeführtwurde. (Jovičić2006a,296)Sie
deutetdiesalsserbischeVorbereitungaufdenKrieg:„In this ideology, thevictims
of Jasenovac becamemere instruments to generate and inspire the crimes that
theYugoslavPeople’sArmycommittedduringCroatia’sHomelandWar.“ (Jovičić
2006a,296)DassderspäterekroatischePräsidentFranjoTuđmandaraufmitVer-
harmlosungderUstaša-VerbrechenundderAngabeeinervielzugeringenOpfer-
zahlvon30.000–40.000Opfernreagierte, lässt JovičićandieserStelleaus.
Somit erreichtder inden 1960er Jahrenerstmalsdeutlich spürbareNationa-
lismus indenspäten1980er Jahren JasenovacmitvollerWuchtundderOrtwird
zumSymboldesKriegesumdieErinnerung,der den Jugoslawienkriegenvoran-
ging. (Radonić2010,127)ObwohleinBelgraderStatistiker (Kočović 1985)undein
kroatischerDemograph(Žerjavić 1989) inBezugaufdieZahlder Jasenovac-Opfer
imWesentlichen zu denselben Ergebnissen kommen, nimmt die Manipulation
der Opferzahlen im sich geschichtspolitisch überschlagenden Tagesgeschehen
einenprominentenPlatzein.SerbischeNationalistInnensprechenvonübereiner
Million Jasenovac-OpfernundvertretendieVorstellungvon ‚kroatischerGenozi-
dalität‘. Tuđman (1990, 316) hingegen schreibt in seinem 1989 erschienenen
Buch Bespuća povijesne zbiljnosti („Irrwege der Geschichtswirklichkeit“) von
bloß 30–40.000 Ermordeten und gibt antisemitische Zitate wieder, wonach
4.1 Vor1989:DieMuseen indersozialistischenÄra 71
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Title
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Subtitle
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Author
- Ljiljana Radonić
- Publisher
- DE GRUYTER
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 338
- Keywords
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918