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über das in Theresienstadt von 1945–1948 angesiedelte Internierungslager für
Deutscheeröffneteund1997einePublikation52darüberherausgab, führtedieszu
keinen öffentlichen Kontroversen, sondern galt als notwendiger Schritt. (Munk
1998, 9)Weiterhin stark im tschechischenDiskurs, derHistoriographieundden
Schulbüchern marginalisiert blieb die Erinnerung an die Verbrechen gegen
Roma. 1997wurde dies erstmals Gegenstand einer Kontroverse über die Ver-
antwortungvonTschechInnenfürdieLagerLetyundHodonínundumdieauf
demGelände des ehemaligen Lagers Lety befindliche Schweinefarm. (Frankl
2003, 181) Theresienstadt hingegenhat 1991 dieMarginalisierungder Erinne-
rung an das Ghetto scheinbar endgültig hinter sich gelassen, besteht heute
aus dreizehnGedenkorten und -ausstellungen, hat unverändert seinen inter-
nationalen Stellenwert und bleibt in der tschechischenGeschichtspolitik un-
kontrovers,wasaber auchdazu führt, dass kaumwissenschaftlicheAnalysen
überdieGedenkstätteundihreAusstellungenpubliziertwerden.
Das Museum des Slowakischen Nationalaufstands veröffentlicht 1990 einen
kurzenMuseumsguide,der zwarerwartungsgemäßaufdas sozialistisch-antiimpe-
rialistischeVokabular verzichtet, aber darüber hinaus stark vonderUnsicherheit
derÜbergangszeitgeprägt ist. (Radonić2014a,493)DieRollederkommunistischen
Aufständischenwirdnichtmehrwie indenvorangegangenenPublikationenüber-
betont, vielmehr werden nun die bürgerlichen Kräfte ausführlich behandelt. Zu-
gleichwirdaber immernochdieentscheidendeRollederSowjetunionimAufstand
positiv hervorgehoben: „Esbleibt einhistorischer Fakt, dassdieHilfe der Sowjet-
union für den Aufstand die umfassendste war – von der Größe und dem Inhalt
her.“ (Múzeum SNP 1990, 25) Auch die tschechoslowakische Idee eines gemein-
samenStaateswirdnochpositivbewertet.AmauffälligstenistdasFehlenjeglicher
CharakterisierungdesTiso-Regimes,alsoder sogenanntenSlowakischenRepublik
1939–1945,und ihrerKollaborationmitdemNS-Regime.Hier istmeistneutralvon
der„Bratislava-Regierung“dieRedeoder, imKontextderAktivitätenderAufstän-
52 ImGegensatz zumminutiösanhandvielerDokumentebelegten leidvollenAlltagder Inter-
niertenwerden dieMorde an den deutschenHäftlingen undGewalt gegen sie allerdings nur
kurz erörtert und indenKontextder „zwangsläufigen“Rachegestellt: „DasVerhältnis zuden
InterniertenwurdedurchdiedamaligepolitischeLagedeterminiert,als jederDeutsche fürden
Feind und den Schuldigen gehalten wurde. Diese allgemein verbreitete Einstellung machte
sich indemGrenzgebietnochmarkanterbemerkbarundganzandereDimensionenbekamsie
in Theresienstadt–demSymbol der nazistischen, an Tschechen verübtenGewalt. Die in die
Festung kommendenDeutschenmußten also zwangsläufig zur Zielscheibe der Haßäußerun-
genundder Rachsuchtwerden, insbesondere seitens der ehemaligenHäftlinge, die plötzlich
die Rolle derMächtigen übernahmen. Eben das ‚wilde‘Anfangsstadiumder Existenz des La-
gers wirdmit den an den Internierten verübten Akten des Unrechts und der Gewalttätigkeit
verbunden.“ (Poloncarz1997,66)
74 4 DerZweiteWeltkrieg imMuseum
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Title
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Subtitle
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Author
- Ljiljana Radonić
- Publisher
- DE GRUYTER
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 338
- Keywords
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918