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wird das sozialistische antifaschistische Narrativ ungebrochen fortgeschrieben,
nochderAufstandals vor allembürgerlicherKampf gegendenFaschismusund
für slowakische Selbstbestimmung gedeutet, noch der Aufstand als Verrat am
slowakischenTiso-Staatverstanden,wiedie rechtextremenKräfteunddasnatio-
nalistisch-katholische Lager ihn sahen. (Lášticová und Findor 2008, 241) 1992
wird eineneueDauerausstellungmit demTitel Slovaks on the battlefields of the
WorldWarseröffnet, die jedochderMuseumswebseite zufolge ineinePhasedes
„search for thenewdirectionsof thedevelopmentof collection-forming,academic
research,presentationandeducationalagenciesof theMuseum“ (Babušíkováo. J.)
fällt. DasMuseumkämpfte nachder ‚Samtenen Scheidung‘ vonTschechien 1993
um eine neue politische Linie jenseits der sozialistischen Propaganda. Doch als
1994VladimirMečiardieultra-nationalistischeundgeschichtsrevisionistischeSlo-
venskánárodnástrana(SNS) indieRegierungaufnahmunddasMuseum1996von
einerstaatlichenzueiner regionalenInstitutionheruntergestuftwurde,kämpftees
umsÜberleben.ErstnachderWahlniederlageMečiars 1998wardasstaatlicheKo-
kettierenmitdergeschichtsrevisionistischenVerklärungdesTiso-Regimesbeendet
(Pauličkova2013, 550)unddieEinrichtungerhielt ihrenStatusals staatliche Insti-
tution zurück. Es sollte aber bis zum Jahr 2000dauern, bis demzögerlichenMu-
seumsguideaus1990einneuernachfolgte.
Theresienstadt betrieb also seit 1988 die Individualisierung der Opfer und
konnte 1991dasGhetto-Museumeinrichten.DasMuseumdesslowakischenNatio-
nalaufstandssuchteseinenneuenOrt innerhalbderslowakischenGeschichtspoli-
tik, die in der ÄraMečiar zwischen (eingeschränkter) Demokratisierung und
Pluralisierungeinerseits undgeschichtsrevisionistischerVerklärungdesTiso-
Staatesandererseitsgespaltenwar.
Jasenovacwiederumrückte indenFokusdes serbisch-kroatischen ‚Krieges
umdie Erinnerung‘. (Radonić 2010) SerbischeNationalistInnen betonten noch
stärker als inden 1980er JahrendieThesevonder vor alleman Jasenovac fest-
gemachten ‚Genozidalität der Kroaten‘. In der Gedenkstätte Jasenovac blieben
kriegsbedingt zunächstBesucherInnenausunddasMuseumwurdedannimSep-
tember 1991geschlossen.ZunächstnutzteesdiekroatischeArmee,danndie Jugo-
slawischeVolksarmee (JNA)unddie serbischeparamilitärischeEinheitWölfe von
Vučjak. Die Frage,welche Seite die Gedenkstätte verwüstete, bleibt bis heute ein
Politikum.Währendmanchebehaupten, die kroatischeArmeehätte sie „besetzt“
undverwüstet (Walasek2016,84),bezeichnenanderediesals„Lüge“undbeschul-
digen ausschließlich die „Četnik-Besatzer“ (Matković 2017). Am treffendsten
beschreibt die Lage wohl die frühere Gedenkstättenleiterin Nataša Mataušić
(2003, 156),wennsieausführt,dassderAnteilderkroatischenArmee,der JNA
und der Krajina-SerbInnen an der Verwüstung unklar ist, jedoch sie alle die
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Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Title
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Subtitle
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Author
- Ljiljana Radonić
- Publisher
- DE GRUYTER
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 338
- Keywords
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918