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RäumlichkeitenalsUnterkunftund fürKriegsbelangemissbräuchlichverwen-
deten. (Radonić2018b, 136)54
Kurz vor der Ausrufung der Serbischen Krajina in diesem Teil Kroatiens
brachte einMuseumskurator die Exponate in den serbischen Teil Bosniens in
Sicherheit. InFolgewurdensiedannaber fürHass schürendeserbischeAusstel-
lungenüber das ,Auschwitz des Balkans‘mit überhöhtenOpferzahlen in Banja
Luka undBelgrad eingesetzt. (Radonić 2018b, 136) Jovan Byford (2007) zufolge
rechtfertigtedasVerständnis von JasenovacalsOrt des ,Holocaust anden Juden
undSerben‘eineaggressiveserbischePolitikzurVerhinderungeinesneuenkroa-
tischenGenozids.DieGedenkstättebefandsich1991–1995aufdemGebietderRe-
publikaSrpskaKrajinaundbliebgeschlossen.
Währenddessen rückteauchderkroatische, von1990bis zuseinemTod1999
semi-autoritäramtierendePräsidentFranjoTuđmanJasenovac indenFokusseiner
Geschichtspolitik. (Radonić 2013, 241f) In Kroatien schien die Trennung von
Jugoslawien und seinem antifaschistischen Dogma nur denkbar zu sein in
Kombinationmit einem positiven Bezug auf den ,Unabhängigen Staat Kroa-
tien‘,der lautTuđman
nicht nur ein ‚Quisling‘-Gebilde oder ein ‚faschistischesVerbrechen‘war, sonderneinerseits
auchderAusdruckhistorischerBestrebungendeskroatischenVolkesnacheinemunabhängi-
gen Staat und andererseits ebenfalls der Einsichten internationaler Akteure, in diesemFall
derRegierungHitlerdeutschlands, die auf denRuinenvonVersailles dieNeuordnungEuro-
passchneiderte, indieSehnsüchteKroatiensundseinenatürlichenGrenzen.
(Čulić1999,20)
Er sei zwar der Form nach faschistisch gewesen, sein Inhalt hingegen „rein“
und„volksbefreiend“geblieben.Die faschistischepolitischeFormsowiedereli-
minatorische Antisemitismus seien dem Land von außen, von den deutschen
Besatzernalso,aufgezwungenworden. (Čulić1999,25)
ZumCharakter des KZ Jasenovac schrieb derHistoriker Tuđman, dass nur
„Vorkämpfer des Jasenovac-Mythos“ behaupten könnten, das Lager sei „mit
der explizitenAbsicht errichtet [worden], alle Gefangenen zu liquidieren“; tat-
sächlich sei es bloß ein „Sammel- undArbeitslager“ gewesen. (Čulić 1999, 25)
Er, der in der sozialistischen Ära als hundertprozentiger Titoist galt (Hudelist
2004, 193), setzt nun imSinneeines radikalenkroatischenNationalismus Jase-
novacmitBleiburggleich,demOrtdesangeblichvondenPartisanInnenander
flüchtendenKolonnederUstaša,ArmeeangehörigenundZivilistInnenbegange-
nen ‚Holocaust andenKroaten‘ 1945. Er gibt für Jasenovacviel zuniedrigeOp-
54 Ich danke demDirektor des Gedenkmuseums, Ivo Pejaković, für Informationen zu dieser
Frage. 4.2 1990–1999:DieWendeunddieMuseen 77
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Title
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Subtitle
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Author
- Ljiljana Radonić
- Publisher
- DE GRUYTER
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 338
- Keywords
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918