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ferzahlen an, um siemit jenen von Bleiburg vergleichen zu können und baut
JasenovacinseinProjektder,nationalenVersöhnung‘ein(Radonić2010,163;Ra-
donić 2017, 272): PartisanInnenwieUstašahätten imZweitenWeltkrieg auf ihre
je eigeneWeise fürdie ,kroatischeSachegekämpft‘. In Jasenovacals ,nationaler
Versöhnungsstätte‘ sollten daher auch Knochen von Ustaša begraben werden,
die späterOpferderPartisanInnengewordenwaren.NachscharferKritik andie-
sem „Knochenmix“ (Ivančić und Čulić 1996) behauptet Tuđman, Jasenovac sei
nach 1945als kommunistischesLagerweitergeführtworden– trotz seriöserwis-
senschaftlicher Widerlegung (Bašić und Kevo 1997) hält sich das Gerücht bis
heute. Da die ‚Universalisierung des Holocaust‘ zu diesem Zeitpunkt bereits zu
weit fortgeschrittenwar, um eine KZ-Gedenkstätte dermaßen zumissbrauchen,
mussteTuđmandiesenPlanaufgeben.55Kroatienwar zudieser Zeit, inder zwei-
tenHälfteder1990erJahre, internationalweitgehendisoliert.Fürseineaggressiven
Versuche der Zerschlagung Bosnien-Herzegowinas zumZweck der Einverleibung
der mehrheitlich kroatischen Herzegowina sowie die starken Demokratiedefizite
wurdeesheftigkritisiert,änderteseinePolitik indiesenPunktenaberbiszumTod
TuđmansEnde1999nicht.DievehementeKritikandergeschichtsrevisionistischen
UmwidmungeinerKZ-Gedenkstättewar jedochauch indieserPhaseerfolgreich–
diese InterventionenkonntedieRegierungnichteinfachalsungerechtfertigteEin-
mischungininterneAngelegenheitenabtun.
Als erstes postsozialistisches Land stellte Kroatien ferner 1998nachgroßer in-
ternationalerAufmerksamkeitmitDinkoŠakićeinenderKZ-Kommandeurevon Ja-
senovac nach seiner Auslieferung aus Argentinien vor Gericht. NachMonaten, in
denen vor allem in der Voruntersuchung Schuld- und Erinnerungsabwehr, Ver-
schwörungstheorienundAntisemitismusdie staatlichenMediendominierten, fand
währenddesHauptprozesses1999langsameineAuseinandersetzungmitdengrau-
envollen Schilderungen der Überlebenden statt und Šakićwurde schließlich zur
Höchststrafevon20Jahrenverurteilt. (Radonić2012)
Die Jasenovac-Gedenkstätte unddasMuseumbefinden sich zwar nachder
Rückeroberungder serbischenKrajina 1995wieder auf kroatischemGebietund
dieseWiederherstellung territorialer Integritätwirdmartialischmit einemUni-
formiertenmitMaschinenpistole vordemBlumendenkmal inszeniert, dochdas
Museumbleibtbis 2006geschlossen.SchließlichkonntedasUSHMMbezüglich
derFragederRückgabeder Jasenovac-Exponate jedocheinAbkommenmitMi-
lorad Dodik, dem Präsidenten der bosnischen SerbInnen schließen (Walasek
55 So bezeichnete anlässlich des Besuchs des kroatischen Außenministers Granić in Israel
1998 der Direktor von YadVashemdie Erhaltung von Jasenovac „ohneVeränderung der Ge-
denkstätte“ als eine der Fragen, die Kroatien lösenmüsse, umdie Beziehungenmit Israel zu
verbessern. (Radonić2010, 182)
78 4 DerZweiteWeltkrieg imMuseum
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Title
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Subtitle
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Author
- Ljiljana Radonić
- Publisher
- DE GRUYTER
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 338
- Keywords
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918