Page - 98 - in Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen - Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
Image of the Page - 98 -
Text of the Page - 98 -
ihreLeidenunterdemKommunismus,derSowjetunionbzw.demStalinismus
anerkenne, insbesonderediebeidengroßenDeportationswellenausdenbalti-
schenStaaten im Juni 1941und imMärz 1949.Das fordernnicht nur etwa für
das lettische Okkupationsmuseumdie oben zitierten Lazda, Nollendorfs und
Stradiņš. Auch der estnische Historiker und Politiker Tunne Kelam, der der
Exil-EstinOlgaKistler-Ritso dieGründungdesMuseumsderOkkupationen in
Tallinvorschlug,brachte inseinerEröffnungsrede2003denWunschzumAus-
druck,dasMuseumsolle
provide foreign visitors […] [with] an understanding of the difficult path of the Estonian
people,butalsoof theiruniqueexperienceofpreserving their spirit, languageandculture–
anexperience thatwecansharewithmateriallybetteroffnations. […] Thecrimesof the
GermanNational Socialist regime have been condemned authoritatively and universally,
while theSovietCommunist regime’sequallyreprehensiblecrimesandthegenocidecarried
outonEstonianterritoryandelsewherehavenotbeenfullyanalyzedor judged.
(Kelam2003)
Unter denhier untersuchtenMuseen sind es vor allemdie drei baltischenMu-
seenunddasHausdes Terrors inBudapest, die dabei auf symbolischer Ebene
Kommunismus und Nationalsozialismus zunächst gleichsetzen, um im Laufe
der Ausstellung dann auszuführen, warum die sozialistische Ära ‚schlimmer‘
gewesensei.73 InFolgebetreibensie,was JamesMarkals „containing fascism“
(Mark2008;2010a)bezeichnethat,eineEindämmungderalsbedrohlich fürdie
‚eigene‘LeidensgeschichteerscheinendenErinnerungandieNS-Besatzungund
denHolocaust.
Während es in skandinavischen zeithistorischenMuseen oder der Gedenk-
stätteWesterbork indenNiederlandenbisheuteüblich ist, dieDauerausstellun-
gen bloß in der Landessprache zu gestalten, wäre das für beide im Folgenden
vorzustellenden Gruppen postsozialistischer Museen völlig undenkbar, die auf
ihre jeweilseigeneArtmit ‚Europa‘kommunizieren.
4.3.1 BeweisdesEuropäischseinsund ‚AnrufungEuropas‘
Die ‚Anrufung Europas‘ ist amdeutlichsten imMuseumdes SlowakischenNa-
tionalaufstands, dem Jasenovac-Gedenkmuseum und demHolocaust-Gedenk-
zentrum inBudapest zubeobachten. So eine ‚AnrufungEuropas‘bringt jedoch
auch vielfältige Problememit sich, wenn sie aufgrund existierenderMachtge-
73 MancheAnalysenbleibenhingegenaufdieFeststellungbeschränkt,dieSowjetäraunddie
Nazizeitwürdenmiteinandergleichgesetzt. (Vgl.Stevick2007,241)
98 4 DerZweiteWeltkrieg imMuseum
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Title
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Subtitle
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Author
- Ljiljana Radonić
- Publisher
- DE GRUYTER
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 338
- Keywords
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918