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Dieser ‚Anrufung‘Europas,der teilweisenÜbernahmearchetypischerFormen
des Ausstellens vonHolocaust-Geschichte und der Benennung slowakischer
TäterInnen steht ein stark nationalistisches Geschichtsnarrativ in jenen Tei-
len der Ausstellung gegenüber, die auf die slowakische Geschichte bezogen
sind. Sowird inBezug auf die Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit das
demokratischeRegierungssystemzwarerwähnt,aberesüberwiegteinenega-
tiveDarstellungderungelösten slowakischenFrage. (Radonić 2014b, 92)Das
habe in einer Art Quasi-Automatismus zum Aufstieg der Hlinka-Partei von
JosefTisogeführt,dadiesevorallenanderenGruppierungendieslowakische
Autonomiebewegung repräsentierte. Im Abschnitt über die Entstehung des
nationalsozialistischenSatellitenstaates, der als „SlowakischeRepublik“be-
zeichnet wird, steht die „offene Aggression Ungarns“ im Rahmen des soge-
nannten „Kleinen Krieges“ imMärz 1939 imVordergrund – das erste in der
AusstellungpräsentierteOpfer istalso ‚dieSlowakei‘.
DasKollaborationsregime,diesogenannte ‚SlowakischeRepublik‘wirdnicht
inAnführungszeichengesetzt, sonderneswirdangedeutet,dasseinanfangsun-
abhängiger Staatmit einem funktionierendenParlament existiert hätte, der sich
erst nachundnachzueinemautoritärenRegimeentwickelt habe.Aufden Info-
Screens, auf die an verschiedenenOrten in der Ausstellung zugegriffenwer-
denkann,wirdnochausgeführt,dass27Staaten78 inklusiveGroßbritannienund
FrankreichdieSlowakischeRepublik (wieüblichohneAnführungszeichen)aner-
kannthätten. „TheSlovakRepublic tried topractise an independent foreignpo-
licy till the Salzburg negotiations on July 28, 1940.“Das Satellitenstaat-Dasein
wird also als spätere Entwicklung behauptet. Auf diesen 71 Info-Screen-‚Seiten‘
überdieSchaffungeines„totalitärenStaates“ inderSlowakeiwirdnurein„tota-
litäres“Merkmalerwähnt,dieAlleinherrschaftderHlinka-Partei.
So trägtdasPanelüberdenTiso-StaatauchdenneutralenNamen„Political
Life in Slovakia 1938–1944“. Darin findet sichnur ein Satz über Repressionen,
‚Errungenschaften‘ hingegen werden positiv hervorgehoben, ohne in Zusam-
menhangmit ersteren gestellt zuwerden: „In spite of the authoritarian regime
the Slovak Republic achievedmany positive results in the areas of economy,
science, schools and culture, owing to thewar boom.“ ImAusstellungsführer
aus 2006wirddieseAussagedurchdenZusatz relativiert, „although theywere
limited by the totalitarian regime restrictions.“ (Museum of Slovak National
78Wie bei den sportlichenWettkämpfen ist auchhier „Kroatien“, also der Ustaša-Staat, vor
allem inder Foto-Sammlungprominent vertreten.Der eineSatellitenstaat scheint also alsBe-
weiseigenständigerExistenzdesanderenherangezogenzuwerden.
4.3 Die2000er:DieKommunikationmit ‚Europa‘ 105
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Title
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Subtitle
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Author
- Ljiljana Radonić
- Publisher
- DE GRUYTER
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 338
- Keywords
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918