Page - 17 - in Rausch der Verwandlung
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Feldbinde quer übergeschnallt, am Säbel goldenes Portepee. Sonst trägt er als
Gymnasialsupplent meist einen schwarzen, schlecht gebürsteten Bratenrock,
beinahe lächerlich macht ihn das Würdeschwarz, den blassen, dünnen,
hochgeschossenen Burschen mit seinem strohstoppeligen, kurzgeschnittenen
Haar und dem weichen dotterfarbigen Flaum an den Wangen. Jetzt aber, einen
energischen Zug krampfhaft um die Lippen, aufgestrafft im engtaillierten
Waffenrock, scheint er der eigenen Schwester ganz neu und anders. Mit
einem dummen, kindischen Backfischstolz sieht sie auf zu ihm und schlägt
die Hände zusammen: »Donnerwetter, fesch siehst du aus.« Da gibt ihr die
Mutter, die sonst so sanfte, einen Stoß, daß sie mit dem Ellbogen an den
Kasten fliegt: »Schämst du dich nicht, du herzloses Ding?« Aber dieser
Zornausbruch, er war nur Trost für den zurückgestauten Schmerz, jetzt
schütterte über den zuckenden Mund breites Schluchzen, an den Rändern
grelle und scharf einschneidende Schreie, und mit der ganzen Wucht ihres
Körpers klammert sie sich, die Verzweifelte, an den jungen Menschen, der
gewaltsam den Kopf wegdreht, sich männliche Haltung abzuzwingen sucht
und etwas von Vaterland redet und von Pflicht. Der Vater hat sich abgewandt,
er kann nicht zusehen, so muß sich der junge Mensch, blaß im Gesicht und
mit verbissenen Zähnen, beinahe gewaltsam aus der ungestümen Umfassung
seiner Mutter lösen. Plötzlich küßt er der Mutter rasch und fluchthaft die
Wangen, dem Vater, der sich unnatürlich straff hält, gibt er hastig die Hand,
an ihr, an Christine, huscht er mit raschem Servus vorbei. Und schon klirrt der
Säbel die Treppe hinab. Nachmittag kommt der Mann der Schwester
Abschied nehmen, Magistratsbeamter seines Zeichens und Feldwebel beim
Train. Da ist es leichter, er weiß sich außer Gefahr, tut sich breit und macht,
als sei es Spaß, tröstet mit behaglichen Witzen und geht. Aber hinter den
beiden bleiben zwei Schatten, die Frau des Bruders, schwanger im vierten
Monat, und die Schwester mit ihrem kleinen Kind. Jeden Abend sitzen die
beiden nun mit ihnen zu Tisch, und immer ist es dann, als ob die Lampe
dunkler brenne. Wenn Christine arglos etwas Heiteres sagt, sehen sie sofort
alle Augen streng an, und sie schämt sich noch unter der Bettdecke, wie
schlecht sie ist, wie wenig ernst, wie kindisch noch. Unwillkürlich wird sie
schweigsam. Das Lachen ist ausgestorben in den Zimmern, dünn wird der
Schlaf zwischen den Wänden. Nur nachts, wenn sie zufällig mal aufwacht,
hört sie manchmal von nebenan ein leises, stetes Geräusch wie gespenstigen
Tropfenfall: es ist die Mutter, die stundenlang (sie kann nicht schlafen) auf
den Knien vor dem erleuchteten Marienbilde für den Bruder betet.
Und dann 1915: siebzehn Jahre. Die Eltern gealtert um ein Jahrzehnt. Der
Vater, als ob irgendeine Lauge innen an ihm zehrte, schrumpft zusammen,
gelb und gebückt quält er sich von einem Zimmer ins andere, und alle wissen,
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Rausch der Verwandlung
- Title
- Rausch der Verwandlung
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1982
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 204
- Categories
- Weiteres Belletristik