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Rausch der Verwandlung
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Feldbinde quer übergeschnallt, am Säbel goldenes Portepee. Sonst trägt er als Gymnasialsupplent meist einen schwarzen, schlecht gebürsteten Bratenrock, beinahe lächerlich macht ihn das Würdeschwarz, den blassen, dünnen, hochgeschossenen Burschen mit seinem strohstoppeligen, kurzgeschnittenen Haar und dem weichen dotterfarbigen Flaum an den Wangen. Jetzt aber, einen energischen Zug krampfhaft um die Lippen, aufgestrafft im engtaillierten Waffenrock, scheint er der eigenen Schwester ganz neu und anders. Mit einem dummen, kindischen Backfischstolz sieht sie auf zu ihm und schlägt die Hände zusammen: »Donnerwetter, fesch siehst du aus.« Da gibt ihr die Mutter, die sonst so sanfte, einen Stoß, daß sie mit dem Ellbogen an den Kasten fliegt: »Schämst du dich nicht, du herzloses Ding?« Aber dieser Zornausbruch, er war nur Trost für den zurückgestauten Schmerz, jetzt schütterte über den zuckenden Mund breites Schluchzen, an den Rändern grelle und scharf einschneidende Schreie, und mit der ganzen Wucht ihres Körpers klammert sie sich, die Verzweifelte, an den jungen Menschen, der gewaltsam den Kopf wegdreht, sich männliche Haltung abzuzwingen sucht und etwas von Vaterland redet und von Pflicht. Der Vater hat sich abgewandt, er kann nicht zusehen, so muß sich der junge Mensch, blaß im Gesicht und mit verbissenen Zähnen, beinahe gewaltsam aus der ungestümen Umfassung seiner Mutter lösen. Plötzlich küßt er der Mutter rasch und fluchthaft die Wangen, dem Vater, der sich unnatürlich straff hält, gibt er hastig die Hand, an ihr, an Christine, huscht er mit raschem Servus vorbei. Und schon klirrt der Säbel die Treppe hinab. Nachmittag kommt der Mann der Schwester Abschied nehmen, Magistratsbeamter seines Zeichens und Feldwebel beim Train. Da ist es leichter, er weiß sich außer Gefahr, tut sich breit und macht, als sei es Spaß, tröstet mit behaglichen Witzen und geht. Aber hinter den beiden bleiben zwei Schatten, die Frau des Bruders, schwanger im vierten Monat, und die Schwester mit ihrem kleinen Kind. Jeden Abend sitzen die beiden nun mit ihnen zu Tisch, und immer ist es dann, als ob die Lampe dunkler brenne. Wenn Christine arglos etwas Heiteres sagt, sehen sie sofort alle Augen streng an, und sie schämt sich noch unter der Bettdecke, wie schlecht sie ist, wie wenig ernst, wie kindisch noch. Unwillkürlich wird sie schweigsam. Das Lachen ist ausgestorben in den Zimmern, dünn wird der Schlaf zwischen den Wänden. Nur nachts, wenn sie zufällig mal aufwacht, hört sie manchmal von nebenan ein leises, stetes Geräusch wie gespenstigen Tropfenfall: es ist die Mutter, die stundenlang (sie kann nicht schlafen) auf den Knien vor dem erleuchteten Marienbilde für den Bruder betet. Und dann 1915: siebzehn Jahre. Die Eltern gealtert um ein Jahrzehnt. Der Vater, als ob irgendeine Lauge innen an ihm zehrte, schrumpft zusammen, gelb und gebückt quält er sich von einem Zimmer ins andere, und alle wissen, 17
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Rausch der Verwandlung
Titel
Rausch der Verwandlung
Autor
Stefan Zweig
Datum
1982
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
204
Kategorien
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