Page - 29 - in Rausch der Verwandlung
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geahnten Eleganz bestehen. Jeder scheue Blick gibt eine erneute Qual. Quer
gegenüber von ihr hält ein siebzehnjähriges Mädchen ein feinhaariges
chinesisches Seidenhündchen auf dem Schoß, das faul und jaulend sich räkelt:
seine Schabracke ist mit Pelz bordiert, mit einem Monogramm bestickt, und
die winzige Kinderhand, die in seinem Fell krabbelt, rosa manikürt und
funkelt bereits von einem Diamanten. Sogar die Golfstöcke, die in der Ecke
lehnen, haben noble Mäntel von neuem glatten cremefarbenen Leder, jeder
der lässig dareingeworfenen Schirme zeigt einen andersartig erlesenen und
extravaganten Griff – mit unbewußter Geste deckt rasch ihre Hand den
eigenen aus blindem, billigen Horn. Wenn nur niemand sie ansehen wollte,
keiner bemerken, was sie jetzt selbst zum erstenmal weiß! Immer tiefer duckt
sich die Verschreckte in sich hinein, und jedesmal, wenn neben ihr ein Lachen
aufflattert, rinnt ihr Angst über den gebeugten Rücken. Aber sie wagt nicht
aufzublicken und nachzuforschen, ob wahrhaftig dieses Lachen ihr gelte.
Erlösung darum, wie nach gepeinigten Minuten das Automobil in den fein
gekiesten Vorhof des Hotels knirscht. Ein Signal, grell wie eine Bahnglocke,
schwemmt einen ganzen Trupp von bunten Lohndienern und Pagen an den
Wagen. Hinter ihnen erscheint, umständlicher, weil zu Distinktion
verpflichtet, im schwarzen Gehrock und mit geometrisch geradem Scheitel,
der Chef de réception. Durch die geöffnete Wagentür springt zuerst, klirrend
und sich schüttelnd, der chinesische Pinsch heraus; locker, ohne ihr lautes
Plappern zu unterbrechen, folgen die Damen, den Sommerpelz beim
Aussteigen hochgerafft, über die sportgemuskelten Beine; hinter ihnen schlägt
noch eine Welle Parfüm zurück, betäubend fast. Nun sollte gesellschaftlicher
Anstand den Herren wohl gebieten, das schüchtern aufstehende Mädchen
voranzulassen, aber entweder haben sie ihre Herkunft richtig eingeschätzt
oder sie bemerken sie nicht; jedenfalls sie schreiten, ohne sich umzublicken,
an ihr vorbei und auf den Hotelsekretär zu. Ungewiß bleibt Christine zurück,
das mit einmal verhaßte Strohköfferchen in der Hand. Es ist besser, denkt sie,
die andern noch ein paar Schritte vorauszulassen, das lenkt die
Aufmerksamkeit ab. Aber sie zögert zu lange. Denn wie sie jetzt, ohne daß
jemand von der Hoteldienerschaft ihr zuspringt, das Trittbrett des Autos
hinabtastet, hat der Herr im Gehrock sich schon devot mit den Rumänen
entfernt, die Pagen tragen geschäftig das Handgepäck hinter ihnen her, und
die Lohndiener jonglieren bereits auf dem Autodach donnernd mit den
schweren Koffern. Niemand hat ihrer Acht. Offenbar, so denkt sie von
Erniedrigung übergossen – offenbar, ja gewiß hält man sie für das
Dienstmädchen, bestenfalls für die Kammerzofe jener Herrschaften, denn mit
völliger Gleichgültigkeit manövrieren die Diener Gepäck an ihr vorbei und
lassen sie stehen wie ihresgleichen. Schließlich erträgt sie es nicht mehr, sie
kämpft sich mit letzter Kraft in die Hoteltür hinein bis zum Portier.
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Rausch der Verwandlung
- Title
- Rausch der Verwandlung
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1982
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 204
- Categories
- Weiteres Belletristik