Page - 31 - in Rausch der Verwandlung
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Ärmlichkeit als Umwelt zu haben, sich nicht dermaßen rasch umschalten, daß
sie wirklich zu glauben wagte, dies Zimmer sei ihr zubestimmt, dieses
verschwenderisch weite, köstlich helle und tapetenbunte Zimmer, in das von
der zweiflügelig aufgetanen Balkontür wie durch kristallene Schleuse ein
Wasserfall von Licht hereinschmettert. Unbändig überschwemmt der goldene
Schwall die ganze Tiefe des Raums, jeder Gegenstand ist getränkt von dieser
Überfülle des lodernden Elements. Die polierten Flanken der Möbel funkeln
wie Kristall, auf Messing und Glas spielen freundliche Funken in flirrenden
Reflexen, selbst der Teppich mit seinen eingestickten Blumen atmet saftig
und echt wie lebendiges Moos. Wie ein paradiesischer Morgen leuchtet dieses
Zimmer, und geblendet von dem Überfall des überall auflodernden Lichts
muß die Erschreckte erst wieder auf die Wiederkehr des jäh aussetzenden
Herzschlags warten, ehe sie rasch und ein wenig schlechten Gewissens, die
Tür hinter sich zuzieht. Erstes Erstaunen: daß es so etwas überhaupt gibt, so
viel helle Herrlichkeit! Und zweiter Gedanke, seit vielen Jahren unlösbar an
alles Begehrenswerte gekettet: was das kosten muß, wieviel Geld, wie
schrecklich viel Geld! Gewiß mehr für einen einzigen Tag, als sie daheim in
der Woche – nein, im Monat verdient! Beschämt – denn wer dürfte es wagen,
sich hier zu Hause zu fühlen – blickt sie sich um, setzt behutsam einen Fuß
vor den andern auf den teuren Teppich. Dann erst, sehr ehrfürchtig und doch
voll brennender Neugier, beginnt sie, sich den einzelnen Kostbarkeiten zu
nähern. Vorsichtig tastet sie zuerst das Bett an: wird man da wirklich schlafen
dürfen, auf so blütendem, kühlen Weiß? Und die Daunendecke, wie ein zarter
Flaum liegt sie, die seidengeblümte, leicht und weich auf der Hand; ein
Fingerdruck und die Lampe flammt auf, und überhaupt die Ecke im warmen
Rosaton. Entdeckung über Entdeckung, der Waschtisch, weiß und
muschelblank mit nickelnem Gerät, die Fauteuils, weich und tief, man braucht
Kraft, sich aus ihrer elastischen Nachgiebigkeit wieder zu erheben, das
polierte Edelholz der Möbel, melodisch sich einend mit dem frühlingshaften
Grün der Tapete, und hier auf dem Tisch, ihr zum Gruß hingestellt, vierfarbig
brennender Nelkenstrauß im hochstengeligen Glas, ein brausender
Willkommtusch von Farbenstimmen aus kristallener Trompete! Wie
unglaubhaft wunderbar diese Pracht! Mit der ungestümen Vorlust, all das
sehen, benützen, besitzen zu dürfen, einen Tag, acht Tage, vierzehn Tage,
schleicht sie zaghaft verliebt an die unbekannten Geräte heran, tastet sie
neugierig jede Einzelheit an, eins nach dem andern und verliert sich von
Entzückung in Entzückung, bis sie plötzlich, als sei sie auf eine Schlange
getreten, grass zurückstolpert und beinahe fällt. Denn völlig ahnungslos hatte
sie den mächtigen Wandschrank aufgetan – da fährt von der angelehnten
Innentür wie ein rotzüngiger Teufel von der Spielschachtel ein lebensgroßes
Bild aus einem hier unerwarteten Wandspiegel, und in dem Glas – sie
erschrickt – sie selbst, grausam wirklich, das einzig Ungehörige in diesem
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Rausch der Verwandlung
- Title
- Rausch der Verwandlung
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1982
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 204
- Categories
- Weiteres Belletristik